Kultur

Mo Yan: "Überglücklich und erschrocken"

Der Nobelpreis für Literatur geht heuer erstmals nach China. Die Königlich-Schwedische Akademie hat am Donnerstag in Stockholm ihre Entscheidung für den Schriftsteller Mo Yan bekannt gegeben. Er vereine "mit halluzinatorischem Realismus Märchen, Geschichte und Gegenwart", hieß es in der Begründung. Die Auszeichnung ist heuer mit acht Millionen Schwedischen Kronen (930.000 Euro) dotiert, zwei Millionen weniger als im Vorjahr. Zuletzt standen der Japaner Haruki Murakami und der Ungar Peter Nadas ganz oben auf der Favoriten-Liste der Buchmacher.

 Der Sprecher der Jury, Peter Englund, sagte im schwedischen Rundfunksender SR: "Wir haben es mit einer einzigartigen Autorenschaft zu tun. Sie hat uns einen einzigartigen Einblick in ein einzigartiges Milieu verschafft." Mo Yan sei eine "Mischung aus Faulkner, Charles Dickens und Rabelais". Er schildere eine dörfliche Welt in einem Teil Chinas, der den meisten anderen fremd sei. "Mo Yan ist nicht als Intellektueller dort hinabgestiegen, sondern er ist selbst ein Teil davon", sagte Englund. Eine der positivsten Reaktionen stammt vom Schriftstellerkollegen Martin Walser: "Ich halte ihn für den wichtigsten Schriftsteller unseres Zeitalters und platziere ihn gleich neben Faulkner."

"Überglücklich und erschrocken"

Mo Yan hat "überglücklich und erschrocken" auf die Auszeichnung mit dem Literaturnobelpreis reagiert. Das meldeten chinesische Staatsmedien am Donnerstag. In den Berichten über die Vergabe wurde der 57-Jährige als der "erste chinesische Bürger" beschrieben, der einen Nobelpreis erhalten habe. Tatsächlich haben allerdings der inhaftierte Bürgerrechtler Liu Xiaobo 2010 den Friedensnobelpreis und der in Frankreich lebende chinesische Schriftsteller Gao Xingjian 2000 bereits den Literaturnobelpreis bekommen. 1989 wurde auch der im Exil in Indien lebende Dalai Lama, das religiöse Oberhaupt der Tibeter, mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.

Mo Yan, der in seinem alten Heimatdorf Gaomi in der ostchinesischen Provinz Shandong von der Auszeichnung erfahren hatte, schaltete offenbar anschließend sein Mobiltelefon ab und war deswegen nicht zu erreichen. Normalerweise lebt er in Peking, wollte aber ein paar Wochen in Gaomi bei seinem Vater verbringen.

Synonym Mo Yan: "Der Sprachlose"

Mo Yan ist ein Pseudonym und heißt "keine Sprache" oder "der Sprachlose". Sein wirklicher Name ist Guan Moye. Der 57-jährige Bauernsohn ist einer der erfolgreichsten zeitgenössischen Schriftsteller Chinas. Im Westen wurde Mo Yan mit seinem Buch "Rotes Kornfeld" (1987) bekannt, das Regisseur Zhang Yimou verfilmte. Er ist ein Geschichtenerzähler - inspiriert von den Erzählungen der Bauern in seinem Heimatdorf Gao Mi (Provinz Shandong) in Ostchina. Das arme Dorf ist bis heute seine literarische Heimat, auch wenn Mo Yan schon lange in Peking lebt.

   Auf Deutsch übersetzt wurden u.a. seine Bücher "Die Schnapsstadt", "Die Sandelholzstrafe", "Die Knoblauchrevolte" und "Der Überdruss". Diesen Roman stellte er 2009 auch in der Aula des Campus der Universität Wien vor. Mit seinem Roman "Frosch" (in China ein traditionelles Symboltier für Geburten) griff er das aktuelle Thema der gesellschaftlichen Auswirkungen der chinesischen Ein-Kind-Politik auf und sorgte für Diskussionen. Thema ist das Schicksal einer Geburtenärztin auf dem Land, die in heftigen Gewissenskonflikt zwischen der strikten staatlichen Geburtenkontrolle und dem Wert jedes einzelnen Lebens geriet. Als Vorbild für die Figur soll Mo Yan seine Tante gedient haben, die selbst seit Anfang der 80er-Jahre bei Geburten als Ärztin tätig war. Für das Buch gewann er 2011 den Mao Dun Preis. "Frösche" erscheint im Frühjahr 2013 in der Übersetzung von Martina Hasse im Hanser Verlag.

Vorwürfe in Frankfurt

Alle Inhalte anzeigen

Anders als der erste aus China stammende und Frankreich zugeordnete Literaturnobelpreisträger Gao Xingjian (2000), der in Paris lebt, oder der häufig als Kandidat genannte Bei Dao, der sich aus dem Exil heraus kritisch mit dem chinesischen Regime auseinandersetzte, ist Mo Yan ein in China etablierter Schriftsteller. Als Mitglied der offiziellen Delegation Chinas bei dem umstrittenen Gastlandauftritt auf der Frankfurter Buchmesse 2009 musste sich Mo Yan gegen Vorwürfe wehren, nicht genug Distanz zum System zu wahren. "Sehr viele sagen jetzt über mich: Mo Yan ist ein Staatsschriftsteller. Daran stimmt, dass ich ebenso wie die Autoren Yu Hua und Su Tong ein Gehalt vom Künstlerforschungsinstitut des Kulturministeriums beziehe und darüber sozial- und krankenversichert bin. Das ist die Realität in China. (...) Ich kann verstehen, wenn Ausländer mich kritisieren. Wenn die Kritik aber von meinen chinesischen Landsleuten kommt, dann ist das unverschämt", sagte er dazu der "China Newsweek".

   Die Nobelpreise werden traditionsgemäß am 10. Dezember überreicht, dem Todestag des Stifters Alfred Nobel. Im vergangenen Jahr hatte der schwedische Lyriker Tomas Tranströmer die Auszeichnung erhalten. 2004 hatte die Österreicherin Elfriede Jelinek den Nobelpreis gewonnen.

Mehr zum Thema

 

  • Porträt

  • Reaktion

  • Hintergrund

  • Bilder

  • Hauptartikel

  • Reaktion

  • Hintergrund