Miriam Maertens: „Die Lust am Leben hat immer gesiegt“
Von Thomas Trenkler
Miriam Maertens, die jüngere Schwester von Michael Maertens, hat ein Buch geschrieben – über ihr Leben mit Mukoviszidose, einer angeborenen Stoffwechselerkrankung. Die Ärzte gaben ihr einst bloß fünf Jahre. Doch sie überlebte. Sie nahm jede Herausforderung an, ging, wie ihr Großvater, ihr Vater und ihre beiden Brüder, zum Theater und bekam einen Sohn. Mit Michael Maertens präsentiert sie ihre Biografie „Verschieben wir es auf morgen“ am 8. 11. im Akademietheater.
KURIER: Trotz all der Qualen, die Sie, Frau Maertens, erlitten haben, hat Ihr Buch einen heiteren Ton. Wie kommt das?
Miriam Maertens: Es gibt etliche Bücher über meine Krankheit. Ich habe nur eines gelesen – es hat mich depressiv gemacht. Ich wollte daher ein lebensbejahendes Buch schreiben.
Mukoviszidose ist eine vererbte Stoffwechselerkrankung.
Miriam: Bei gesunden Menschen werden die Sekrete automatisch abtransportiert. Bei mir hingegen blieben sie in der Lunge, sie führten zu Entzündungen und zerstörten die Bronchien. Ich musste zwar andauernd Therapie machen, schon als Kind. Das war nicht so lustig. Aber ich sagte mir: Okay, und danach geh ich wieder raus spielen. Ich hatte nie das Gefühl, wirklich todkrank zu sein. Das Glück war, dass mein Kopf so positiv eingestellt war. Und ich hatte die tollsten Helfer.
Ihr Brustkorb musste täglich abgeklopft werden.
Miriam: Es ging darum, dass sich der Schleim löst. Ich habe fremde Hände aber immer als unangenehm gefunden. Der Einzige, bei dem ich es ertragen konnte, war Michi.
Michael Maertens: Krankengymnastinnen haben es uns beigebracht. Ich hab’s gern gemacht. Aber ich gebe zu: Manchmal war man zu faul.
Ihre ältere Schwester starb bereits mit einem Jahr – wohl auch an Mukoviszidose.
Michael: Erst jetzt, mit eigenen Kindern, wird uns klar, was das für unsere Eltern bedeutet haben muss. Sie haben das aber völlig aus unserem Leben rausgehalten.
Auch Sie hätten von der Krankheit betroffen sein können. Hat Sie das belastet? Oder waren Sie insgeheim erleichtert?
Michael: Es ist eine große psychische Belastung. Auch wenn Miriam ein Motor der guten Laune war. Sie kam erst mit elf zu den tollen Ärzten nach München. Davor gab es eine Zeit, in der es ihr schon ziemlich schlecht ging. Am schlimmsten war, wenn Miriam wieder ins Krankenhaus musste, weil sie kaum Luft bekam. Da hatte ich oft Sorgen und Ängste. Es gab auch Momente, wo ich beinahe kapituliert habe. Ich konnte das nicht mitansehen. Aber den Gedanken hatte ich wirklich nie: Mein Glück, dass ich das nicht hab’! Das hört sich jetzt so edel an, das soll es nicht.
Miriam: Es war auch für mich furchtbar. Weil man weiß, dass man den Eltern wieder Sorgen machen und die Brüder wieder damit belasten muss. Mitunter stand mein Leben an der Kippe. Aber trotzdem hab’ ich nie den Mut verloren. Die Lust am Leben hat immer gesiegt. Und ich versuchte immer, mir Menschen als Freunde zu gewinnen, die geradezu vor Kraft strotzten. Ich habe immer nach oben geschaut – und nicht nach unten.
Sie wurden Schauspielerin.
Miriam: Das war für mich irgendwie die Königsdisziplin: einen Beruf zu ergreifen, für den du den Atem brauchst. Das spornte meinen Ehrgeiz an, die Therapien zu machen.
Michael: Ich war strikt dagegen. Es ist doch völlig absurd, wenn man glaubt, mit dieser Krankheit abends vor 1000 Leuten spielen zu können. Ich fand, Miriam sollte irgendetwas Ruhiges am Computer machen. Ich war übrigens auch dagegen, dass sie ein Kind bekommt. Denn ich wusste, dass sie sich in Lebensgefahr begibt. Was hat das Kind davon, wenn die Mutter drei Jahre später stirbt? Aber Miriam zeigte mir: Michi, da irrst Du dich!
Und Sie unterstützten sie. Denn Sie spielten bereits in Zürich, als Matthias Hartmann, damals Direktor, auch Ihre Schwester engagierte. Sie mieteten daraufhin eine Villa an – für Sie Beide.
Michael: Das hört sich gut an: In Zürich in einer Villa! Nein, es war nur ein Häuschen.
Miriam: Michi war und ist ein Vorbild. Nicht als Schauspieler, Burg-Schauspieler, sondern einfach als Bruder.
Spielten Sie auch zusammen?
Miriam: In den 14 Jahren in Zürich gab es nur eine einzige Produktion, in der wir eine Szene gemeinsam hatten. In „Platonow“ von Tschechow.
Sie verschwiegen im Theater Ihre Krankheit?
Miriam: Ja, ich führte eine Art Doppelleben. Das hat auch mit meinem Komplex zu tun. Ich wollte nicht erzählen, dass ich täglich drei Stunden lang Schleim aus mir rausholen muss. Das war eben mein Privatleben. Und ich bin ohnedies kein Fan von Kollegen, die auf Proben ihre privaten Sachen preisgeben.
Ihr Gesundheitszustand wurde noch schlechter. So entschlossen Sie sich doch zu einer Lungentransplantation. Da begann eine hochdramatische Zeit …
Miriam: Denn es gibt ja keinen bestimmten Termin. Du stehst einfach auf einer Liste und hast ein zusätzliches Telefon. Es kann in drei Stunden klingeln – oder erst in einem halben Jahr. Da gerätst du in einen Zustand von Wahnsinn. Und du hast irrsinnige Angst davor, dass es klingeln könnte. Zunächst gab es einen Fehlalarm. Die Lunge passte nicht. Und dann waren es nur noch zwei Wochen bis zu den Ferien, ich hatte noch fünf Vorstellungen und ein Gastspiel in Berlin.
Sie spielten „Faust 1–3“ nach Goethe mit einem ergänzenden Text von Elfriede Jelinek.
Miriam: Darin heißt es: „Du kannst den Menschen alles nehmen – nur nicht die Luft zum Atmen.“ Und du sprichst diesen Satz, während du auf deine Lungentransplantation wartest.
Michael: Der Tag war ausgefüllt mit Vorbereitung: Inhalieren, Übungen, wieder inhalieren – um die Kraft zu haben für die Vorstellung.
Und dann in Berlin?
Miriam: Es klingelte. Man hofft, jemand anderer würde anrufen. Aber das geht ja gar nicht. Ich war allein im Hotelzimmer, bekam richtig Panik. Ich musste furchtbar weinen, aber dann sagte ich mir: Es ist richtig so. Zum Glück war mein großer Bruder Kai in Berlin. Er kam gleich. Und dann ging der Wahnsinn los – mit einem Privatflugzeug nach München.
Michael: Es musste eine Sanitäterin mitfliegen. Absurderweise eine Person, die noch nie geflogen ist und Flugangst hatte.
Miriam: Das heißt, dass ich sie beruhigen musste. Zudem funktionierte das Sauerstoffgerät nicht. Ich dachte mir: Scheißegal, das schaffe ich auch noch. Die Operation dauerte ungefähr acht Stunden. Und schon nach drei Tagen kam ich auf die Normalstation. Im Krankenhaus war ich drei Wochen. Ich hatte großes Glück, wie schnell mein Körper die neue Lunge angenommen hat.
Niki Lauda musste nach seiner OP sehr viel länger kämpfen.
Miriam: Ich war 42, er ist viel älter und hat bereits eine transplantierte Niere. Die Lunge ist ja das größte Organ. Sie sich einzuverleiben: Das muss der Körper überhaupt erst einmal schaffen!
Michael: Mein geliebter Kollege Urs Hefti ist 2008 nur sechs Wochen nach der Transplantation gestorben.
Miriam: Das war damals ein weiterer Beweis, dass eine Transplantation niemals für mich infrage kommen würde. Aber sie war das Beste, was mir passieren konnte.
Sie bekamen, wie Sie vermuten, die Lunge eines Mannes.
Miriam: Ja, weil sie so groß ist. Aber das wusste ich nicht. Mir fiel nur auf, dass ich meine Lache verloren hatte, und fragte den Chirurgen. Er hätte sich, sagte er, überlegt, etwas wegzuschneiden. Aber dann kam er davon ab. Mittlerweile ist meine Lache fast so wie früher. Und ich kann wirklich alles machen. Auch laufen und singen. Die Mukoviszidose habe ich natürlich weiterhin. Aber sie beeinträchtigt mich nicht. Damit kann man locker leben.
Die Maertens, eine Schauspielerfamilie
Schon die Großeltern waren Schauspieler: Willy Maertens leitete das Thalia Theater in Hamburg bis 1964, seine Frau Charlotte spielte ebendort. Auch Sohn Peter Maertens war (von 1985 an) am Thalia Theater engagiert. Zu seinem 50-Jahr-Bühnenjubiläum 2004 stand er mit seinen Kindern Kai, Michael und Miriam gemeinsam auf der Bühne.