Michael Niavarani: "Sehr viele Trottel bewundern einen noch größeren Trottel"
Lachfreunde und Südseegötter, Narren und Witze, Platon, Trump und vieles mehr bis zur Schweinsbraten-Now!-Bewegung mischt sich beim "Nia", wie ihn seine Freunde nennen, unter Gefundenes und Erfundenes, Unbekanntes und Unglaubliches: "Ein Trottel kommt selten allein". Was den Trottel auszeichnet? "Er ist immer im Besitz der Wahrheit. Die hält er für einzig, ultimativ und nackt – auch wenn sie ihm zuliebe oft Lederhosen trägt."
KURIER: Sind Sie der Boccaccio vom Neusiedler See? Ihr neues Buch mit Geschichten und wild mäandernden Gesprächen dazwischen erinnert sehr an den Klassiker "Das Dekameron".
Michael Niavarani: Schön, dass man das erkennt. Das freut mich sehr. Mich hat die Situation fasziniert, dass Menschen einander Geschichten erzählen, und ich dann auch noch höre, wie sie darüber reden, und was sie zu den Geschichten sagen.
Und alles beginnt des nächtens in einer Badehütte?
Ja, das ist wirklich passiert. Ich saß in einem Gartenhäuschen, konnte nicht schlafen, ging auf die Terrasse und hörte unseren Igel ...
... furzen, wie zu lesen ist?
Ja, plötzlich hat sich der Igel eine Zigarette angezündet. Ich denke, das gibt’s doch nicht, der Igel raucht? Es war mein Nachbar, und wir haben zwei, drei Stunden über mein Buch geredet. Da ist mir ,Das Dekameron‘ wieder eingefallen und ich dachte: Es wäre doch cool, wenn die Geschichten in ein Gespräch eingebunden sind.
Mit einem Friseur?
Ich dachte, die Figur des Friseurs ist eine witzige Idee. Und sie hat sehr gut zu einem der ältesten Witze gepasst aus einem Buch von 400 vor Christus. Kommt ein Mann zum Friseur, der ihn fragt: "Wie soll ich Ihnen die Haare schneiden?" Die Antwort ist: "Still." Der Witz steht in der ältesten Witzesammlung der Welt. Das heißt, der Charakter des Friseurs ist seit 2400 Jahren derselbe. Der Friseur redet einfach gern. Wobei ich ja im Buch viel mehr rede als der Friseur.
Das Buch ist eine humoristische Betrachtung des bekannten Phänomens: Der Mensch ist ein Idiot. Oder wie es Albert Einstein formulierte: "Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit, aber beim Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher."
Es gibt auch ein wunderbares englisches Sprichwort: "Jeder Trottel findet einen noch größeren Trottel, der ihn bewundert." Und es scheint mir, dass wir gerade in einer Zeit leben, in der sehr viele Trottel einen noch größeren Trottel bewundern.
Und warum sind wir Trottel?
Wir können oft nichts dafür, weil wir die einzigen Tiere auf diesem Planeten sind, die wissen, dass sie sterben werden. Die einzigen Tiere, die sich fragen: Warum gibt es das alles? Und die oft Umwege in ihrer Trottelhaftigkeit gehen. Darum geht’s im Buch.
Bei vielen Formulierungen muss man schmunzeln, etwa bei der Beschreibung einer sehr mageren Frau: "Wann se di ausziagt, glaubst, sie is hamgangen ..."
Eine Perle aus dem wahren Leben. Nicht von mir, sondern original von einem Taxifahrer, der gejammert hat, dass er verlassen wurde und keine Frau mehr findet, und alle so ,zau’dürr san‘.
Sie vollführen als Autor diesmal die große Grätsche von der Antike bis in die Gegenwart.
Ich schlage den großen Bogen täglich. Vor 15 Jahren musste man als liberaler, weltoffener Mensch nach Amerika emigrieren. Heute muss man in die katholische Kirche eintreten. Unglaublich, dass jetzt der Papst liberaler und weltoffener ist als der US-Präsident. Und dann fällt mir ein Buch aus dem Jahr 1537 in die Hand, wo als medizinischer Vorschlag gegen Depressionen steht: Man soll ein Huhn aufschneiden und es sich aufsetzen. Beides ist wahr. Diese Saltos erlebe ich täglich.
Fällt es Ihnen schwer, sich auf eine Sache zu konzentrieren?
Ich habe immer eine Geliebte, aber auch noch eine andere. Dieses Buch ist eigentlich ein Treffen all meiner Geliebten. Alle Themen, die mich interessieren und faszinieren, haben hier Eingang gefunden.
Mit philosophischen Einsprengseln von Platon bis Kant liegt die Latte für den Leser hoch.
Ich verstehe nichts, nichts, nichts von Kant. Außer den einen Satz: Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbst verschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen.
Ein 448-Seiten-Opus-Magnum?
Das ist mir passiert. Ich habe offensichtlich gerade eine Lebensphase, wo meine Theaterstücke vier Stunden dauern und meine Bücher 400 Seiten haben. Es liegt vielleicht an der Zahl 4. Weil ich mich von der verabschieden muss, wenn ich demnächst 50 werde.
Aber tröstlich ist, dass es auch ein Leben nach 50 gibt.
Wie Woody Allen sagt: 60 ist das neue 40, 70 das neue 50, und der Tod ist das neue 90.
Was kommt nach "Romeo & Julia" ins Globe Wien?
Wenn ich das wüsste! Ich möchte jetzt einmal alles von Shakespeare lesen, mir fehlen noch immer zehn Stücke. Vielleicht "Hamlet".
"Hamlet" mit Happy End?
Angenommen, die Welt geht unter im Sinne von: Es ist nichts mehr übrig von der Menschheit. Und es kommt ein Außerirdischer, der englisch lesen kann, und er liest ,Hamlet‘, dann weiß er alles über uns. Alles über die menschliche Psyche, das Verbrechen, die Traurigkeit, das Schöne, die Liebe, sogar über die Unterhaltung, die Komödie, die Wissenschaft. Shakespeare hat in dieses Stück alles hineingepackt.
Und Hamlet ...
... ist eigentlich ein guter Mensch, kein Zögerer, der nicht weiß, was er tun soll, weil er von seinem Vater seelisch missbraucht wird. Weil der zu ihm sagt: ,Räche mich! Deine Mutter ist eine Hure, sie schläft mit deinem Onkel, der mich umgebracht hat. Räche mich! Aber zu deiner Mutter darfst du nichts Böses sagen.‘
So wird Hamlet zum Zauderer?
Der Bub ist total gehemmt, weil er diese Bürde nicht aushält. Deshalb zögert er. Nicht, weil er blasiert, lustlos oder dumm wäre, irgendetwas zu tun. Er zögert, weil er nicht anders kann. Und das ist doch sehr menschlich, dass wir oft gern etwas machen würden, aber es letztlich doch nicht schaffen.
Wie Hamlet, der vor lauter Denken das Handeln verlernt hat.
Er hat auch keine Freunde. Die Studienkollegen: Arschlöcher. Horatio: auch kein wahrer Freund. Hamlet ist nicht verrückt, er spielt nur verrückt. Ein total fröhlicher Mensch, der Spaß daran hat, den anderen vorzuspielen, wie deppert er ist. Das entsteht natürlich aus der Not, dass er nicht weiß, was er machen soll. Quasi ein Hofnarr.
Shakespeare hat Hamlet auch selber zum Narren gemacht. Hamlet übernimmt die Funktion des Narren, der Lieder, Verse und die ordinären Witze hat.
Und wo ist dann für Sie die komödiantische Sollbruchstelle im Dänendrama?
Ich habe mir gedacht: Der Hamlet braucht einen Freund, der zu ihm sagt: ,Setz dich einmal und trink ein Bier.‘ Und wer könnte Hamlet ein Freund sein? Falstaff, der blade Ritter, ein Gauner, der aber in derselben Situation wie Hamlet ist. Er hat seinen Buben verloren. Der junge Prinz wird König Heinrich V. Der junge Heinrich ist der beste Freund von Falstaff, nutzt ihn aus. Und sobald er König ist, verbannt er ihn, verstößt seinen Vater.
Hamlet hat das Problem, dass der Vater ihm eine Bürde auferlegt, und Falstaff wird vom Ziehsohn verstoßen.
Wenn wir die zwei zusammenbringen, Falstaff wieder einen Buben hat, um den er sich kümmern kann, und Hamlet einen Vater, der sein Freund ist, so könnte das nächste Stück im Globe Wien beginnen.
Und Sie sind Hamlet?
Nein. Das ist das Problem. Keiner will die Hamlet-Rolle. Alle, Günther Lainer, Bernhard Murg und ich, wollen den Falstaff spielen.