Meryl Streep: "Das kann man nur wegtrinken"
Von Elisabeth Sereda
Am 8. Jänner wird Meryl Streep bei der Golden-Globe-Verleihung mit einem der höchsten Preise der Filmindustrie, dem Cecil B. DeMille Award, für ihr Lebenswerk ausgezeichnet. Von der Deutschen in Marvin Chomskys Holocaust-TV-Serie, die zusehen muss, wie ihr jüdischer Ehemann im KZ landet, über ihre Oscar- und Golden-Globe-Rollen in "Kramer gegen Kramer", "Sophie’s Choice" und "The Iron Lady" zu Komödien wie "Der Teufel trägt Prada": Sie gilt als die beste Schauspielerin ihrer Generation.
Vor der großen Ehrung Anfang des kommenden Jahres singt Streep sich noch falsch, aber mit Gusto durch die wahre Geschichte der Florence Foster Jenkins (Filmstart in Österreich: 26. November), die trotz Katzenstimme und Schweinsohren in der New Yorker Carnegie Hall auftrat.
KURIER: Vor 20 Jahren wollten Sie unbedingt die Rolle der Evita spielen. Nun schlüpfen Sie in die Rolle einer Frau, die für ihr Falschsingen berühmt wurde. Wie bereitet man sich auf so etwas vor?
Meryl Streep: Der Grund, warum Florence Foster Jenkins so populär war und eine solche Sensation, ist nicht, dass sie schlecht sang. Das tun doch viele Leute, die wir kennen, und wir verlassen dann einfach den Raum. Sondern, dass sie mit so viel Hoffnung und Freude sang. Und dass sie ihrer Idealvorstellung dessen, was eine gute Sängerin ausmacht, manchmal nahe kam. Und davon sehen wir Splitter. Und deshalb wurde sie geliebt, die Freude in ihrer Stimme ließ ihr Publikum die Fehler überhören. Ich mochte die Rolle, weil das eine Frau ist, die das, was sie macht, mit so viel Liebe tut, dass sie nicht anders kann, ganz gleich wie schlecht sie ist. Ich gebe jetzt mal mit einem großen Namen an: Ich war mal mit Jasper Jones essen, der mir erzählte, dass er und Robert Rauschenberg, als sie jung waren, öfter herumhockten und sich ihre Platten anhörten. Wahre Künstler verstehen den Drang, das zu tun, was man liebt, weil man es gar nicht vermeiden kann.
Im Gegensatz zu ihr können Sie singen. Was mussten Sie lernen, um die falschen Töne zu treffen? Es gibt ja Aufnahmen von ihr.
Als ich "Ricky and the Flash" mit Audra McDonald drehte, erzählte ich ihr von dieser Rolle, und sie schickte mich zu ihrem Gesangslehrer, dessen Namen ich jetzt nicht sage, weil er sicher nicht im Zusammenhang mit Falschsingen genannt werden will! Ich musste Arien singen. Man kann eine ganz adäquate Popstimme haben, aber Oper ist etwas anderes. Es war daher nicht so schwer.
Was erholt man sich am Ende eines Drehtages, an dem man so viele falsche Töne singen musste? Mit einem Rolling-Stones-Album?
Haha, nein, mit einem flüssigen Abendessen! Solche Tage kann man sich nur wegtrinken. Dazu kommt, dass ich all diese Fettpolster umgeschnallt hatte, weil sie ja sehr füllig war. Das ist eine Menge Gewicht, und abends wollte ich nur eine Massage bekommen. Aber in England, wo wir filmten, gibt es keine gute Massagen. Daher wars ein steifer Drink, das können die Briten.
Welchen Rat würden Sie einem jungen Schauspieler geben, der eine große Karriere anstrebt, bei dem Sie aber merken, dass er dafür nicht talentiert genug ist?
Ich bin davon überzeugt, dass dir das Leben dein Schicksal schenkt. Jack Nicholson sagte einmal zu mir: "Spucke nie auf das Glück und die Hoffnung eines anderen". Das Wort "nein" hört man oft genug. Besser, etwas zu versuchen und zu versagen, als es nie versucht zu haben.
Ihr Co-Star Hugh Grant und viele andere Ihrer Kollegen sagen, dass sie unheimlich nervös waren, bevor sie Sie trafen.
Gut. (lacht)
Gibt es Leute, bei denen Sie nervös sind?
Ja, natürlich, meistens sind das aber nicht Schauspieler, sondern Musiker und Maler. Dann tue ich immer so, als wäre ich extrem cool, damit man mir meine Nervosität nicht anmerkt.
Gibt es Genres, die Sie nicht interessieren?
Ja, alles was mit Green Screen und Blue Screen und Punkten im Gesicht zu tun hat, die dann in Spezialeffekte umgewandelt werden, ist nicht mein Bier. Da muss man zu viel Zeit mit Technik verbringen, anstatt mit Schauspiel.
Als Ihre Karriere begann, waren Filmsets von Männern bevölkert und dominiert. Heute gibt es zwar immer noch keine Balance, aber es ist besser geworden. Finden Sie, dass man Ihnen heute mehr zuhört?
Zuhört ja, aber hört man uns Frauen? Männer sind nun mal nicht so intuitiv wie wir. Vor einen Mann musst du dich hinstellen und sagen: "Okay, so geht das, und so machen wir das." Klar und deutlich. Männer hören uns heute mehr zu, weil sie erkannt haben, dass sie das müssen. Das ist der große Unterschied.
Was ist das Geheimnis Ihres Schauspieltalentes?
Soll ich Ihnen etwas sagen? Ich habe keinen blassen Schimmer.
Sie sind seit Jahren politisch engagiert, haben vor dem Repräsentantenhaus Reden gegen Pestizide in Nahrungsmitteln gehalten, und es ist kein Geheimnis, dass Sie liberal sind. Was empfinden Sie die Welt, in der wir leben?
Das ist eine Riesenfrage, die zu beantworten eine Stunde dauern würde. Lassen Sie es mich so sagen: Ich bin besorgt, aber ich bin Optimistin. Ich halte es mit Leonard Cohen: "There’s a crack in everything and that is how the light gets in." (übersetzt etwa: Es gibt in allem einen Riss, und so kommt das Licht hinein, Anm.)