Matt Berninger: Scheitern ist nicht das Problem
Von Karl Oberascher
Eigentlich wollte Matt Berninger seinem Bruder nur einen Job verschaffen, als er ihn einlud, seine Band The National auf ihrer Tour zu begleiten. "Er hat damals noch bei unseren Eltern in Cincinnati gewohnt", erzählt der 43-Jährige kurz vor Beginn seines Wien-Konzerts. "Also habe ich ihn als Roadie für unsere Tour engagiert." Anstatt auf der Bühne anzupacken, filmte Tom lieber acht Monate lange das Tourleben der Band. Eine Geduldsprobe für den neun Jahre älteren Matt. Am Ende wurde Tom gefeuert. Dass die brüderliche Intervention nicht zum Fiasko wurde, haben die beiden "Mistaken for Strangers" zu verdanken.
Die Dokumentation, die morgen in den Kinos startet, wird international gefeiert – als berührendes Porträt zweier Brüder, nicht als Rock-Doku, wie es der ursprüngliche Plan Toms gewesen wäre. "Mein Bruder hatte auf andere Erfahrungen gehofft", spielt Matt Berninger auf das Klischee vom Leben auf der Tour an. "Diese Phasen gab es zwar in unserer Band", befriedigend seien Drogen und Frauengeschichten – oder was auch immer man eben für diesen Rock-’n’-Roll-Lifestyle halte – letztlich aber nicht.
Noch eine Rock-Doku, die dieses Bild propagiert hätte, wäre ihm jedenfalls unangenehm gewesen: "Viele junge Musiker jagen da einem Bild nach, das es so gar nicht gibt. Jeder will irgend eine mythische Version von Keith Richards sein. Das ist doch deprimierend."
Nur kein Rockstar
Nach 40 Minuten, in denen Tom über das Tourleben der Band seines Bruders erzählt, wechselt der Neo-Filmemacher schließlich die Perspektive und zeigt vor allem sein eigenes Scheitern. Als Filmemacher. Aber auch als Mensch. Ein Twist, der auch der Verhältnis der beiden Brüder nachhaltig verändert hat. "Als großer Bruder habe ich ihm meine Ängste nie so gezeigt. Dabei war ich ein genauso deprimiertes, unsicheres und nervöses Kind wie alle anderen auch." Der Film hätte seinem Bruder Tom so auch geholfen zu erkennen, dass er gar kein Rockstar sei. "Nicht einmal jetzt, da ich theoretisch einer bin."
Matt selbst habe durch den Erfolg des Films auch Vertrauen in seinen Bruder Tom gewonnen. "Er hatte immer eine wahnsinnige Angst zu scheitern und hat aufgegeben, bevor er es überhaupt versucht hatte. Aber Scheitern ist gar nicht das Problem." Entmutigen lassen dürfe man sich nur nicht. Eine Erfahrung, die der große Bruder dem kleinen voraus hat.
"Tom hat das nie so gesehen hat, aber auch wir mussten viele Rückschläge einstecken." Eines der schlimmsten Erlebnisse hätte er 2005 gehabt. "Damals waren wir auf Tour mit ,Clap your Hands Say Yeah‘. Die hatten kurz vorher ihren Durchbruch und waren eigentlich als Vorgruppe gebucht. Die Konzerte waren allesamt ausverkauft, aber als wir auf die Bühne kamen, standen da nur 20 Menschen."
Inzwischen sind The National eine der erfolgreichsten Indie-Rock-Bands Amerikas. Die Angst zu scheitern kenne er aber noch immer. "Nur kann ich mittlerweile damit umgehen."
Wein & Gesang
Seine Musik empfindet Matt Berninger dabei als Ventil. In seinen Songtexten erzählt er daher von seinen Ängsten als Vater und Ehemann. Für seine exaltierten Konzertauftritte hat sich Berninger, der auch schon Barack Obama bei seiner Wahlkampftour unterstützt hat, eine andere Lösungsstrategie zurechtgelegt: Alkohol. "Die Vorstellung, vor Hunderten Menschen zu performen, finde ich einfach noch immer befremdlich." Wein helfe da, um auf Touren zu kommen.
Der Ausflug in den Rock-’n’-Roll-Lifestyle passiere wirklich nur in diesen zwei Stunden auf der Bühne, schießt Berninger schnell nach. "Danach bin ich wieder der größte Nerd, gehe sofort ins Hotelzimmer und telefoniere mit meiner Frau."