Im Alter schaut die Liebe wie ein Schlaganfall aus
Von Peter Pisa
Der sterbende Mann ist auch ein liebender Mann.
"Die Liebe fragt einfach nicht, wie alt man ist", hat Martin Walser dem KURIER gesagt. 80 war er, als er vom 72-jährigen zahnlosen Goethe erzählte, der für eine 18-Jährige entflammt war.
"Ein liebender Mann" war nicht besonders peinlich. Es war halt leider so, dass es für den großen Goethe keine Gegenliebe gab.
Jetzt ist Walser 88, er variiert sein Thema (zum wievielten Mal?), vertieft, erweitert, und diesmal heißt der Roman, in dem ein unruhiges Herz pumpert, "Ein sterbender Mann".
Mit dem Titel ist der 72-jährige Theo Schadt gemeint. Er hat immerhin eine Brücke im Mund (wenngleich eine "haltlos gewordene"). So ändern sich die Zeiten.
Explosion
Walser war Walser und in Form, der Roman ist abwechslungsreich, peinlich ist er zwischendurch aber auch, dramatisch, dramatischer, nach drei Toten am dramatischsten – und letztendlich berührt diese überkonstruierte Geschichte sogar.
Aber immer hält sich die Lust sehr in Grenzen, schon wieder in der Seele eines älteren Mann zu schnüffeln.
Beim Anblick einer jüngeren Frau – freundlicherweise nicht 18, sondern 53 – explodierte ein Lichtblitz in ihm.
Man muss ja fürchten, er habe einen Schlaganfall erlitten; und tatsächlich ist seine nichts ahnende Ehefrau besorgt über ihren torkelnden "Alten".
Sterben wollte dieser Theo Schadt, weil ihn sein Firmenpartner, Freund und Schützling verraten und verkauft hatte.
Im Internet sucht er nach einer angenehmen Suizid-Art und kommt mit einer anderen Selbstmordkandidatin ins Gespräch.
Er hat aber ohnehin Dickdarmkebs.
Und sitzt gewissermaßen im Geschäft seiner Frau die Frist ab. Tangotanzschuhe werden verkauft, und Herr Theo hilft ein wenig an der Kassa.
Jener Kundin, die ihm Licht beschert hat, "grellste Helle", schreibt er Briefe, eMails, SMS ... und wird sie nie mehr zu Gesicht bekommen.
Man hat das Gefühl, Walser habe sich ein Vehikel hergerichtet, in dem er seinen reichen Schatz an Altersweisheiten transportieren kann.
Seitenweise reiht er Aphorismen aneinander:
"Das Alter ist eine Wüste. Darin eine Oase, heißt Tod."
Und weil der böse Ex-Partner ein Dichter ist, kann Walser auch über die Sprache philosophieren und sogar dichten, reimen:
"Unsere Leichen blühen und lassen erglühen / das Eis der Unsterblichkeit."
"Ein sterbender Mann" ist zu viel des Guten ... und des weniger Guten.
Martin Walser:
„Ein sterbender Mann“
Rowohlt Verlag.
288 Seiten.
20,60 Euro.
Das Hörbuch, vom Autor
gelesen, kostet 25,99 Euro.