Martin Walser: Es drängt ihn so ...
Von Peter Pisa
Martin Walser hat in einem langen Interview mit seinem Sohn Jakob Augstein („Das Leben wortwörtlich“, Rowohlt Verlag) den vielseitigen Kritiker Hellmuth Karasek mit der Bezeichnung „Universalgeschwätzigkeit“ in Zusammenhang gebracht.
Also, Martin Walser ist selbstverständlich philosophischer, stilistisch brillanter, geschraubter ... und er erzählt auch keine Witze, wie es Karasek bis zuletzt – er starb 2015 – getan hat. (Gern machte er auch den Elefanten nach, dem ein Krokodil den Rüssel abgebissen hatte ...)
Aber dieser Drang, sofort alles öffentlich machen zu müssen, ist auch Walser nicht ganz fremd.
Durchaus verständlich, er ist 91 Jahre alt geworden.
Etwas weniger verständlich wird es, wenn er sich wiederholt. Wenn man im aktuellen, männerfantasierenden Buch so manches findet, das man schon längst von Walser „gehört“ hat.
Er präsentiert diesmal einen zwangspensionierten Juristen, noch nicht 60 Jahre alt. Einen Regierungsrat des bayerischen Justizministeriums, der als Oberschenkelgrapscher in der Pause eines Theaterstücks unangenehm aufgefallen war.
Nun hat sich dieser seltsame Mensch Visitenkarten drucken lassen, auf denen „Philosoph“ steht sowie ein neuer, ein falscher Name, Justus Mall.
Im Internet bloggt Justus Mall bzw. schreibt Briefe an eine Unbekannte.
Denn er hat ein Problem, bekannt aus Literatur, Oper, Funk und Fernsehen (und möglicherweise sogar aus dem eigenen Privatleben):
Er ist verheiratet und hat eine Geliebte, und jetzt hätt’ er gern eine Frau, die versteht, dass er die Ehefrau liebt UND die Geliebte. Denn die jetzige Geliebte – Silke, eine Biologin – verlangt, dass er sich von der Ehefrau trennt. (Die Ehefrau nennt sich „Depp vom Dienst“.)
Er aber will: „Gar alles“.
Alternativer Titel: „Briefe an eine unbekannte Geliebte“.
GeschwätzigDie Dritte, die er nun sucht – sie könnte beide Frauen ersetzen, und das wäre die Erlösung. Stellt sich der Gute vor.
Es meldet sich keine.
Davon handelt die neueste Walser’sche Variation der Wahrheit.
„Was soll ich denn tun, wenn ich nicht tun kann, was ich soll?“
So leidet sein „Held“ hin und her; und ist geschwätzig genug (er, nicht Walser! doch Walser?), um von einer Begegnung mit schon wieder einer fremden Frau zu berichten, deren spitze Brüste ihm ins Auge stachen und nicht aus dem Sinn gehen.
Man wird nebenbei von einem gewissen Hartmut erfahren, dem die Irmgard weggenommen worden ist, und zwar von einem Kinobesitzer.
Einer der besten Gedanken von Martin Walser ist: „Jeder Gedanke tut wichtiger, als er ist.“
Na bitte, er weiß es ja selbst. Damit ist alles gut.
Martin Walser:
„Gar alles
oder
Briefe an eine
unbekannte
Geliebte“
Rowohlt.
112 Seiten.
18,50 Euro.
KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern