Martin Grubinger: "Ich bin verrückt"
Von Barbara Reiter
Herr Grubinger, heute schon getrommelt?
Natürlich. Ich habe in der Früh angefangen und zweieinhalb Stunden gespielt.
Umsonst sind Sie also nicht der beste Percussionist der Welt geworden.
Als ich zwölf Jahre alt war, hätte ich mir niemals vorstellen können, dass sich das jemals so entwickelt – dass ich in all den großen Konzertsälen spielen kann, mit großartigen Orchestern und tollen Dirigenten, bei tollen Festivals. Aber es ist wichtig, dafür zu kämpfen, hart zu arbeiten und innovativ zu bleiben. Man darf nicht sagen, dass man es laufen lässt, weil es jetzt eh gegeben ist.
Vor kurzem habe ich eine Geschichte über Wunderkinder geschrieben. Hinter ihrem Erfolg stecken anfangs vor allem engagierte Eltern. Wie war das bei Ihnen?
Das stimmt. Hinter all dem steht seit meiner Jugend mein Vater. Er hat diese positive Besessenheit. Er unterrichtet am Mozarteum und an der Musikschule, übt und arrangiert nebenbei. Das macht er sechs Tage die Woche. Und wenn er nachhause kommt, fragt man sich, wie jemand, der jetzt 60 wird, nie müde sei kann. Und dann hat er noch die große Freude, drei Stunden dranzuhängen. Er steckt uns mit dieser Begeisterung an.
Haben Sie sich denn nie unter Druck gesetzt oder überfordert gefühlt?
Ich glaube, in der Jugend ginge es noch, dass Eltern einen zu etwas zwingen. Aber irgendwann kommt das Alter, in dem man sich emanzipiert. Spätestens dann würde die Wahrheit an die Oberfläche kommen und man würde einfach alles hinschmeißen. Als ich sechs Jahre alt war, kann ich mich erinnern, dass es für uns immer eine Verbindung gab: Fußball – Schlagzeug, Skifahren – Schlagzeug, Waldlaufen – Schlagzeug, Bauernhof – Schlagzeug. Mein Vater hat das auch pädagogisch sehr gut angestellt.
Offenbar. Sie sind der erste Musiker, der das Schlagzeug als Soloinstrument in einem Konzertsaal etablieren konnte. Über Sie wurde geschrieben: „Er bringt ein singendes Schlagzeug hervor und spielt mit mozartischer Schwerelosigkeit.
Oje, der arme Mozart. Mit Mozart gibt es keine Vergleich. Er ist das Genie der Genies und so outstanding. Für jeden Musiker ist nur der Ansatz, mit Mozart vergleichen zu werden schlichtweg peinlich.
Beeindruckend ist es aber schon, wie Sie Ihren Durchbruch geschafft haben. Im November 2006 haben Sie im Wiener Konzertsaal ein Marathon-Konzert gegeben, bei dem Sie sechs Schlagzeug-Konzerte an einem Abend gespielt haben.
Ja, in einem klassischen Konzertsaal, der als Tempel der traditionell klassischen Musik gilt, haben wir in vier Stunden sechs Konzerte zeitgenössischer Musik vor einem ausverkauften Saal gespielt – nur Schlagzeug mit Orchester. Vorher haben viele Veranstalter gesagt: „Was sollen wir mit einem Schlagzeuger? Der hat kein Repertoire.“ Nach dem Musikverein war das anders.
Vier Stunden Percussion spielen! Da fallen einem doch die Arme ab.
Es war auch ein totaler Grenzgang. Ich habe mit Sportmedizinern besprochen, was wir planen. Nach einigen Tests hat sich herausgestellt, dass meine damalige Verfassung dafür nicht ausreichend war. Aber ich hatte neun Monate Zeit, mich mental und körperlich vorzubereiten. Es war ein Prozess. Ich kann mich auch teilweise an nichts erinnern, nur an den Beginn und das Ende des Konzertes. Dazwischen war Flow. Diese Gefühl von damals hat sich in dieser Intensität auch nie mehr eingestellt.
Beim zweiten Mal war Ihnen schon fad?
Das nicht, aber es war eine Wiederholung und es kommt eine gewisse Routine dazu. Manche Dinge hat man dann schon erlebt.
Wie oft haben Sie das Marathonkonzert gespielt?
Warten Sie, ich habe es in Wien gemacht, dann Salzburg, Schleswig-Hohlstein und München – vier Mal.
Geht noch ein fünftes Mal?
Nein, das ist vorbei, der Puls ist bei so einem Konzert auf 196, man verausgabt sich. Meine Mama hat’s verboten.
Weil Sie sich nachher schlecht gefühlt haben.
Ja, jedes Mal. Deshalb hat die Mama dann gesagt, das muss nicht sein.
Ihre Mama? Sind Sie denn nicht verheiratet?
Meine Frau sieht es ja ähnlich. Die beiden sind sich da einig. Außerdem hat es schon immer geheißen: „Der Martin ist ein Mama-Buali“ und dazu stehe ich auch. Ich habe einen besonderen Bezug zu meiner Mama.
Akzeptiert Ihre Frau das? Das soll ja in vielen Beziehungen zu Krisen führen.
Das habe ich auch schon oft gehört. Ich frage mich nur, woran es hakt? Aber es ist so, dass meine Frau beruflich bedingt sehr viel mit uns unterwegs ist. Ich glaube, das Entscheidende ist die Abwechslung und die haben wir. Wir sind oft ein paar Wochen am Stück unterwegs.
Man muss dazu sagen, dass Ihre Frau die bekannte Pianistin Ferzan Önder ist. Ist es leichter für einen Musiker, mit einer Musikerin verheiratet zu sein?
Mit einer Pianistin verheiratet zu sein, ist deshalb sehr schön, weil es für die Besetzung Schlagzeug – Piano ein tolles Repertoire gibt. Da kann man unglaublich viel machen. Mit so einem Repertoire sind wir heuer schon bei den Salzburger Festspielen aufgetreten. Wenn man nicht nur privat verbunden ist, sondern auch berufliche Interessen teilt, kann man am Abend stundenlang zusammensitzen und über irgendwelche Interpretationen diskutieren oder über Programme, Ideen und Musiker. Das Gesprächsstoff geht einem nicht aus.
Ihre Frau ist 17 Jahre älter als Sie. War das je ein Thema?
Das werde ich auch von Kollegen immer wieder gefragt. Für einige Menschen ist es ein Thema, für uns nicht. Die Altersfrage ist für mich nur wahrnehmbar, wenn wir am Flughafen stehen und wir zufällig die Geburtsdaten in unseren Pässen sehen.
Martin Grubingers Frau Ferzan Önder mit ihrer Zwillingsschwester Ferhan. Gemeinsam treten sie weltweit als Pianistinnen-Duo auf
Sie treten am 13. Dezember im Wiener Konzerthaus mit der Top-Pianistin Yuja Wang auf ...
Ja, Yuja. Es ist so lustig. Sie ist jetzt mit einem Schlagzeuger zusammen. Ich habe ihr immer gesagt, „Yuja, nimm dir einen Schlagzeuger. Wir sind ein bissl relaxter als die anderen klassischen Musiker.“ Sie hat das beherzigt.
Wie wichtig ist denn der private Background für einen Musiker?
Für mich total. Aber Yuja und ich sind da total gegensätzlich. Sie lebt in New York City, ich lebe am Land und nutze jede Gelegenheit, manchmal auch noch spätnachts nach einem Konzert nachhause zu fahren. Am nächsten Tag gehe ich dann auf den Berg oder genieße die Stille. Für mich gibt es auch nichts Entspannenderes, als mit meinem Sohn ein bissl Radl zu fahren oder Fußball zu spielen.
Sie sollen der totale Fußballfreak sein und einen eigenen Fußballplatz mit Flutlichtanlage zuhause haben. Stimmt das?
Stimmt. Bayern ist mein Team, seitdem ich fünf bin. Ich glaube, ich habe 35 Bayern-Trikots daheim. Ich bin verrückt.
Und Ihr Sohn ist bereits Mitglied bei einem türkischen Verein habe ich gelesen.
Bei Fenerbahçe, aber er ist auch Bayern-Fan. Wir haben sogar eine Saisonkarte beim FC Bayern – meinen Sohn habe ich dort auch schon angemeldet. Er ist jetzt fünf und wie ich glaube, einer der jüngsten Saisonkarten-Inhaber bei den Bayern im Stadion.
Sie haben doch kaum Zeit, sich ein Spiel anzusehen.
Schwierig, aber mit einer Bayern-Saisonkarte ist das wie mit einem Philharmoniker-Abo. Das vererbt man immer weiter.
Sie haben ja zum Fußball eine interessante Theorie, die besagt, dass Fußballer, ähnlich wie Musiker, Abläufe so lange trainieren könnten, bis sie ins Unterbewusstsein übergehen. Ob das geht?
Ich glaube fest daran. Sowohl, was die Koordination betrifft, als auch die Fähigkeit, den linken und rechten Fuß zu trainieren. Die meisten Fußballer spielen entweder stark rechts oder links. Die Spieler, die beidfüßig einen 40-Meter-Ball spielen können, sind eine Besonderheit. Ich glaube daran, dass ein Team einen Konter über vier fünf Stationen auf einer gemeinsamen rhythmischen Basis spielen könnte. Das bestätigen mir auch Mediziner, die wissenschaftlich damit zu tun haben. Und wir Musiker spielen ja auch beidhändig.
Es geht also um Automatisierung.
Genau. Das, was wir als Musiker machen, wenn wir was auswendig lernen, indem wir den Bewegungsablauf einstudieren. Wenn ich die Augen schließe, weiß ich genau: Hier liegt das C. Ich habe das so oft gespielt, dass das Unterbewusstsein die Bewegung kennt. Oft heißt es im Fußball, dass bei einem Pass beim Abspielen das Timing gefehlt hat, weil der Spieler schon im Abseits steht oder hinter dem Verteidiger zugedeckt ist. Und das Timing ist der Rhythmus.
Worauf warten Sie? Sie haben den zweiten Visionär quasi ums Eck. Red-Bull-Boss Dietrich Mateschitz ist wie Sie Salzburger. Und eine Revolution könnte dem österreichischen Fußball nicht schaden.
Absolut, aber wissen Sie, ich bin so beschäftigt mit der Musik.
Sie möchten mit 40 ohnehin aufhören mit der Musik, sagten Sie einmal.
Das ist der Plan. Es ist irgendwie eine traurige Vorstellung, wenn ich daran denke, dass ich ein ganzes Leben lang nur Schlagzeug gespielt habe. Ich habe abseits der Musik noch so viele andere Interessen.
Fußball wissen wir schon.
Ja, und Geschichte studieren wäre mein Traum. Ich war vor kurzem eine Woche in Italien und habe mich dort in ein Buch vertieft: „Die Schlafwandler“ von Christopher Clark. Es ist eine Bestandsaufnahme darüber, wie es sich in den einzelnen Ländern zum ersten Weltkrieg hin entwickeln konnte. Solche Dinge interessieren mich. Da gehe ich richtig auf.
Wissen Sie, was mich beeindruckt hat? Sie haben einmal in einem Interview klassische Aufnahmen bestimmten Orchestern zugeordnet. Dabei sagten Sie: „Das ist kein Pauker aus Österreich“ und hatten recht. Woher wussten Sie das?
In Bruckners Achter im vierten Satz gibt es zum Beispiel eine berühmte Stelle, an der man die Pauke solistisch hört. Wenn Sie nun die Wiener mit den Berliner Philharmonikern vergleichen, hört man den Unterschied sofort. Die Wiener Pauke ist kleiner, hat Glockenform, ist mit Ziegenfell bespannt und wird mit einem Flanellschlägel gespielt. In Berlin spielen sie einen größeren Kessel mit Kalbsfell und Filzschlägel.
Die Wiener Pauke ist Ihnen lieber.
Eindeutig. Der berühmte Solopauker der Wiener Philharmoniker Bruno Hartl hat immer gesagt: „Ich muss nicht so laut und massiv spielen, weil wir eine gute Kontrabassgruppe haben.“ Daran glaube ich. Ich will die Pauke nicht autark durch den Saal wummern hören. Da werde ich sonst emotional. Ich will, dass sie sich in den Kontrabassklang integriert. Bei den Wiener Philharmonikern denke ich mir immer: So muss das klingen.
Ist es nicht schön, wenn es jeder ein bisschen anders macht?
Beethoven, Mozart, Bruckner und wie sie alle heißen, haben alle in Wien gelebt und ein bestimmtes Klangideal im Kopf gehabt, als sie diese Symphonien komponiert haben. Wieso also liebe Freunde in Deutschland, Amerika, Frankreich oder England spielt’s ihr so ganz anders? Da werde ich mit Kollegen nach den zweiten, dritten Bier oft ‚streitert‘. Da gehen die Emotionen hoch.
Ich habe mal erlebt, dass jemand, der gefragt wurde, welches Instrument er spielt, zum Spaß sagte: „Triangel!“ Alle haben gelacht. Wie finden Sie das?
Naja, das ist eine echte Kunst. EIn Triangel müssen Sie an der richtigen Stelle treffen, damit es seinen Klang entfaltet. Es geht darum, ob der Ton hell, dunkel, schwer oder weich sein soll. Können Sie rhythmisch spielen, wie dämpfen sie ein Triangel ab? Eine Wissenschaft. Wir haben in Zürich an der Uni einen eigenen Lehrer für die ganz feinen Orchesterschlagwerke: Triangel, Kastagnetten, Tamburin. Natürlich können Sie auch ein Triangel nehmen, wie der Hermann Maier in der Raiffeisenwerbung und einfach draufklopfen. Aber da blutet mir selbst als großer Maier-Fan das Herz.
Heute schwärmt man doch von Hirscher.
Ja, aber Maier war einzigartig. Diese Kraft, diese Leidenschaft, natürlich auch die Tatsache, dass er ein Underdog war – der Maurer, der vom ÖSV schon verstoßen wurde und sich dann in einem Vorlauf in Flachau mit einer Wahnsinnszeit durchgesetzt hat. Die Trainer haben gesehen, dass ein Vorläufer schneller war, als die meisten, die wir im Kader hatten. Wir waren totale Maier-Fans und haben kein Rennen verpasst.
Apropos Rennen: Die Zeit rennt. Sagen Sie mir noch schnell auf einer Skala von 1, Durchhänger, bis zehn, Wahnsinnszeit, wo Sie derzeit stehen?
Beruflich neun und privat zehn. Absolut. Ich könnte jetzt nichts benennen, wo ich sage ...obwohl, der FC Bayern hat in letzter Zeit nicht so gut gespielt.
Martin Grubinger, 33, wurde 1983 in Salzburg geboren und entdeckte schon mit drei Jahren seine Leidenschaft zum Schlagzeug. Sein Vater, Lehrer am Mozarteum, förderte ihn von da an. Später gelang es Grubinger, das Schlagzeug als Solo-Instrument in die berühmtesten Konzertsäle der Welt, von Wiener Konzerthaus bis Carnegie Hall in New York, zu bringen. Die Schule beendete Grubinger aufgrund seiner vielen Fehlstunden nicht, schaffte aber dann den Durchbruch, als er 2006 im Wiener Konzerthaus ein vierstündiges Marathonkonzert gab. Einen eindrucksvollen Beweis seines Könnens gab er auch 2015 beim Song-Contest in Wien, als er als Gast-Star auftrat. Seit 2009 ist er mit der Pianistin Ferzan Önder verheiratet und hat mir ihr einen fünfjährigen Sohn.
Info: Am 13. Dezember tritt Martin Grubinger gemeinsam mit Star-Pianistin Yuja Wang im Wiener Konzerthaus auf. Weitere Termine unter: www.martingrubinger.at