Mark Twain: Der eselhafteste Mensch
Von Peter Pisa
Von der 100 Jahre geheim gehaltenen Autobiografie jenes Esels, der immerhin "Tom Sawyer" und "Huckleberry Finn" geschrieben hat, ist soeben der zweite Teil auf Deutsch erschienen (am abschließenden Band wird noch gearbeitet).
Mark Twain hatte verfügt, dass man auf sein letztes großes Werk warten muss, damit er sich "so frank und frei und schamlos wie ein Liebesbrief" äußern könne.
Er hatte es ab dem Jahr 1906 auf der Terrasse von Upton House in New Hampshire diktiert, drei Laufmeter Zettelwirtschaft sind durchzuarbeiten – und "Esel" hat er sich selbst genannt:
"Ich bin der eselhafteste Mensch, den ich je gekannt habe."
Spekulant
Warum? Weil sich der Menschenkenner immer wieder irrte und verspekulierte.
Weil er Geld in Erfindungen (zum Beispiel in Druckmaschinen) investierte, aus denen bloß Dummheiten wurden oder – wie im Fall seines Bruders – zwar eine tolle Holzschneidemaschine entstand; doch am Patentamt erfuhren die beiden, dass es exakt eine solche Maschine längst in Serienproduktion gab.
Einmal verweigerte sich Mark Twain: Nein, die spottbilligen Telefonaktien kaufte er nicht. Da blieb er beinhart.
Diejenigen, die gekauft hatten, wurden reich.
Er war bankrott, und nur wegen seiner Schulden ging der Amerikaner auf Geldbeschaffungstournee und kam auf seiner Vortragsweltreise nach Wien, wo er Kaiser Franz Joseph kennenlernte.
Humorgreis
Als freundlicher Händeschüttler war er begehrt. Als Partylöwe und Plaudertasche. Ein lustiger Kerl, der im Hotel "Metropol" (später Gestapo-Hauptquartier Morzinplatz) mit dem Fahrrad vom Zimmer ins 45 Meter weit entfernte Bad fuhr.
62 war Mark Twain damals. Karl Kraus mochte ihn gar nicht, er nannte ihn einen "Humorgreis".
Auch der zweite Teil der (auf 270 Seiten extra kommentierten) Autobiografie verspricht "Geheimnisse". Zumindest Mark-Twain-Forscher werden erneut keine darin finden.
Außer vielleicht, dass die Bowlingbahn in Bateman’s Point (Rhode Island) derart schief war, dass man 35 Kugeln brauchte, um alle Pins umzuwerfen.
Die Mischung macht es so lesbar. Häppchenweise selbstverständlich.
Würdevoll nimmt der Literatur-Weltstar Abschied von drei seiner vier Kinder, und auch seine Ehefrau starb vor ihm.
Dazwischen kann er sich über die Stubenfliegen aufregen, die die Vormachtstellung gegenüber den Menschen einnehmen wollen; und über Handleser, Hypnotiseure, über Wagner-Opern, Steuerhinterzieher, korrupte Politiker, betrügerische Verleger ...
Merken sollte man sich jene eleganten Worte, die Twain für einen Feind übrig hat: "Wir dürfen mit diesem Mann nicht unangemessen verfahren – wir müssen ihn in Öl sieden!"
KURIER-Wertung: