Kultur

Lucian Freud-Schau: Nackt in der Emotion

Jetzt liegt sie also in Wien, die nackte, übergewichtige Arbeitsamtsangestellte, die dem russischen Oligarchen Roman Abramowitsch 17 Millionen Pfund wert war. Das großformatige Gemälde „Benefits Supervisor Sleeping“ ist im Kunsthistorischen Museum als eines von 43 Werken des britischen Malerstars Lucian Freud (1922–2011) zu sehen, der nun mit seiner ersten Ausstellung in der Stadt seines Großvaters Sigmund Freud angekommen ist.

Reichlich spät, führt man sich den Wien-Bezug der Familie Freud und die internationale Aufmerksamkeit für Freuds so riesenhafte wie intime Porträts vor Augen. „Er hatte viele, viele Einladungen, um in Wien auszustellen“, sagt Kurator Jasper Sharp zum KURIER. „Aus verschiedenen Gründen, manchmal politischen, manchmal persönlichen, hat er immer abgelehnt.“

Nun aber sind die Gemälde dort angekommen, wo Freud sie sich gewünscht hat: Nah bei den Alten Meistern im Kunsthistorischen Museum (KHM), aber nicht vermengt mit ihnen. „Keine Auseinandersetzung“ wollte der Maler, also keine Gegenüberstellung mit den KHM-Beständen, keine thematische Gruppierung seiner Bilder. Sondern eine chronologisch gehängte Schau der wichtigsten Bilder, in deren Auswahl Freud noch selbst involviert war.

Verweigerung

In mehreren Sälen der Gemäldegalerie lässt sich daher nun verfolgen, warum Freud in der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts eine Sonderposition einnimmt: Was für die Besucher des Alte-Meister-Museums durchaus „shocking“ sein könnte, so Sharp, würde „in die Kunsthalle Wien versetzt unglaublich altmodisch wirken“. Für die ankommenden Wien-Touristen jedenfalls wird Freud offenbar als ungeeignet empfunden: „Der Flughafen Wien hat uns ein Plakat verweigert“, sagt Sharp.

Untypisch in der Ausstellung ist das frühe Bild einer Bananenstaude, das Freud auf Jamaika malte, wo er bei James-Bond-Autor Ian Fleming zu Gast war.

Typischer sind: Die Porträts, die in monatelanger, für Modell und Maler gleichermaßen herausfordernden Sitzungen entstanden sind. Und ungeschönte Bilder des Menschen zeigen, oftmals nackt in der Darstellung, immer nackt in der Emotion. Unweigerlich fängt sich der Blick an ausladenden Rundungen, an männlichen Genitalien und alternden Körpern. „Es ist ein Klischee, dass Freud brutal gewesen sei zu seinen Modellen“, sagt Sharp. „Einige seiner Porträts zeigen unglaublich viel Liebe.“

Sigmund

Dass Lucian Freud nun in Wien ausgestellt wird, schließt einen Kreis in der Familiengeschichte: Der Maler „wuchs mit der KHM-Gemäldegalerie in seinem Schlafzimmer auf“. Denn Sigmund Freud brachte ihm aus Berlin, wo er sich einer Krebsbehandlung unterziehen musste, immer Kunstdrucke mit, „viele davon aus dem KHM“, sagt Sharp.

Psychoanalyse

Dass der Bezug zum berühmten Großvater, dem Entwickler der Psychoanalyse, immer da ist, habe Lucian nicht gestört. „Er liebte Sigmund. Vor allem wegen dessen Humor.“ Lucian Freud habe sich aber gegen psychoanalytische Deutungen seines Werkes gewehrt.

Nicht immer leicht hatte es Freud jedenfalls mit der britischen Presse: Die machte sich lustig über ein Freud-Porträt der Queen. „Es hieß, sie sieht aus wie nach einem Boxkampf“, sagt Sharp.

Die Queen zeigte sich von der Häme unbeeindruckt. Das Porträt hängt heute in Windsor Castle.

43 Werke in der Gemäldegalerie

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Der Maler- Lucian Freud, Enkel des Psychoanalytikers Sigmund Freud, wurde 1922 in Berlin geboren. 1933 übersiedelte die Familie nach London, wo er bis zu seinem Tod 2011 lebte. Freuds Bedeutung als einer der wichtigsten figurativen Maler des 20. und frühen 21. Jahrhunderts wurde rasch erkannt. Die wichtigsten Museen der Welt, darunter die Londoner Tate, das Metropolitan Museum of Art in New York und das Centre Pompidou in Paris widmeten Freuds OEuvre umfangreiche monografische Ausstellungen.

Die Ausstellung im KHM - Die Schau im KHM mit 43 der wichtigsten Werke aus dem fast 70-jährigen Schaffen Lucian Freuds dauert vom 8. Oktober bis zum 6. Januar. Di. bis So. 10 bis 18 Uhr, Do. 10 bis 21 Uhr.KHM, Wien 1., Burgring 5

Der Katalog - Sabine Haag und Jasper Sharp (Hgg.). Prestel Verlag. 264 Seiten, deutsch/englisch.€ 39,95

David Dawson, Jahrgang 1960, war mehr als 20 Jahre Modell, Studioassistent und zuletzt enger Freund von Lucian Freud (1922–2011), Künstler, Enkel von Sigmund Freud und Sohn des Architekten Ernst Freud, des vierten von sechs Kindern des Wiener Psychoanalytikers.

So dokumentierte er mit seiner Kamera die letzten 15 Lebensjahre des Malers und Porträtisten, der „lebte, um zu malen, und der bis zu seinem Todestag malte, fernab vom Lärm der Kunstwelt“, so sein New Yorker Galerist William Acquavella.

Berggasse 19

Und just im Freud-Museum in der ehemaligen Wohnung des berühmten Großvaters von Lucian Freud in der Berggasse 19 wird jetzt die Foto-Schau „Lucian Freud: Privat. Fotografien von David Dawson“ (bis 6. Jänner 2014) gezeigt.

Sie ist aufschlussreich, weil sie uns das Geheimnis des eher verschlossenen Ateliers am Holland Park in Kensington mit den befleckten Wänden, den zerknüllten Papieren und dem spartanischen Mobiliar eröffnet.

Sie thematisiert die Aspekte von Intimität und Innenraum in Arbeitsräumen. Konkret zeigen die Fotos das Atelier und künstlerische Umfeld Lucian Freuds, konzentriert auf den Aspekt der Beziehung von Maler und Modell.

Und sie gibt sehr intime Einblicke ins Privatleben des eines der wichtigsten Künstler des 20. Jahrhunderts, der sagte: „Ich male Menschen nicht, weil sie so sind, wie sie sind, und eigentlich auch nicht, obwohl sie so sind, sondern so, wie sie mir erscheinen.“ www.freud-museum.at