Nobelpreisträgerin Nadine Gordimer ist tot
Zierlich und fast zerbrechlich, aber oft zornig wirkte die Grand Old Lady der südafrikanischen Literatur: Aber ihrer Wortgewalt blieb sie auch im hohen Alter treu.
Die Rassentrennung in Südafrika, die Auswirkungen der Apartheid auf den Einzelnen, das komplizierte Beziehungsgeflecht zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft waren die Themen ihrer 15 Romane, mehr als 200 Erzählungen und zahllosen Essays.
Apartheid-Kritikerin
Sie kämpfte zeitlebens für soziale Gerechtigkeit, Meinungsfreiheit und gegen Rassismus. Sie war eine der einflussreichsten Stimmen in Südafrika. Am Sonntag ist die Literatur-Nobelpreisträgerin von 1991 in ihrem Haus in Johannesburg mit 90 Jahren gestorben.
Ihr Werk und ihr politisches Engagement für den einst verbotenen ANC, der Partei Nelson Mandelas, sind eng miteinander verwoben. Mehrere ihrer Bücher wurden vom rassistischen Regime zensiert; doch sie ließ sich nicht einschüchtern, sagte vor Gericht als Zeugin zugunsten mehrerer angeklagter Freiheitskämpfer aus und nutzte ihre internationale Prominenz, um politisch Einfluss zu nehmen.
Aber als eine politische Schriftstellerin sah sich Nadine Gordimer nicht. Ihr ging es stets ums Menschliche, um Moral und Lebenslügen. Um Selbstbetrug und Enttäuschungen. Um Freundschaft und Liebe über Rassengrenzen hinweg – mehr als um Widerstand gegen Unterdrückung. Dabei neigte sie eher dazu, Fragen zu stellen als klare Antworten zu geben.
Die Erlebnisse ihres Mannes Reinhold Cassirer im Deutschland der 30er-Jahre schärften ihre Sensibilität für Verfolgte und Minderheiten. Auch sie war Tochter jüdischer Eltern. Ihre Mutter kam aus London; ihr Vater, ein jiddisch sprechender Uhrmacher, aus der Grenzregion von Litauen und Lettland.
Nach der Revolution
"Burgers Tochter" (1979) erzählt über einen in Haft umgekommenen weißen Kommunistenführer. Im Roman "Julys Leute" (1982) sind die Herrschaftsverhältnisse zwischen Schwarz und Weiß nach einer Revolution auf den Kopf gestellt. Und im Mittelpunkt des Romans "Keine Zeit wie diese" (2012) steht ein schwarz-weißes Paar, das früher für die Freiheit gekämpft hat und nun bitter enttäuscht ist. Ein Gefühl, dass Gordimer kannte: "Die Leute, die momentan an der Macht sind, wollen sich nicht dafür rechtfertigen, dass heute noch immer Abertausende Menschen in verheerenden Verhältnissen leben."
Nadine Gordimers Romane, Erzählungen und Essays behandeln vor allem die südafrikanische Apartheidpolitik und deren Folgen sowohl für die schwarze als auch für die weiße Bevölkerung. 1974 bekam Nadine Gordimer den Booker Prize, 1991 wurde sie mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet.
Bereits als Neunjährige hatte Gordimer zu schreiben begonnen, mit 14 Jahren erschien ihre erste Kurzgeschichte ("Come Again Tomorrow") auf den Kinderseiten der Zeitschrift Forum in Johannesburg.
Bis zuletzt kreativ und patriotisch
Auch im hohen Alter war sich Gordimer auf bemerkenswerte Weise treu geblieben. Im Gegensatz zum anderen Literaturnobelpreisträger Südafrikas, J. M. Coetzee, hat sie sich nie von Südafrika abgewandt. Zwar zeigte sie sich fast 20 Jahre nach Beseitigung des rassistischen Apartheid-Regimes maßlos enttäuscht über Korruption und Vetternwirtschaft im neuen, demokratischen Südafrika. Aber trotz allen Zorns und wütender Kritik stand sie auch als 90-Jährige zur früheren Befreiungsbewegung und heutigen Regierungspartei ANC. Bis zuletzt war die große alte Dame der südafrikanischen Literatur voller Schaffenskraft und träumte als stolze Patriotin vom inneren Frieden der "Regenbogennation".
Es hat eine gewisse Symbolkraft, dass die erfolgreiche Schriftstellerin, deren Bücher in 20 Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet wurden, in der unsicheren Metropole Südafrikas geblieben ist - nicht weit entfernt vom Domizil Nelson Mandelas. Selbst ein brutaler Überfall in ihrem Haus, bei dem sie 2001 bedrängt und eingesperrt wurde, veränderte nichts. "Da habe ich nun die Erfahrungen gemacht, die so viele andere machen mussten", sagte sie nüchtern dem englischen Telegraph. Angst habe sie ohnehin nie in ihrem Leben zugelassen.
Auch in den Einbrechern sah Gordimer vor allem verführte junge Männer, die die Perspektivlosigkeit in die Kriminalität dränge. Als besondere Stärke ihrer zahlreichen Romane und Erzählungen gilt, dass sich in den Schilderungen aufwühlender Einzelschicksale die großen politischen und sozialen Herausforderungen der Gegenwart spiegeln und kristallisieren.
Deutlich, für manche Literaturkritiker zu tagespolitisch, kritisiert die Autorin in ihren Werken die Mächtigen im Land, in jüngster Vergangenheit insbesondere den "gefährlichen Politiker" Zuma. 2012 äußerte sie sich bestürzt über "das schreckliche Massaker" in Marikana, als 34 streikende Minenarbeiter getötet wurden - von überwiegend schwarzen Polizisten. Nach der hoffnungsfrohen Ära Mandela leide Südafrika zunehmend an einem "nationalen Kater", hatte Gordimer einmal geklagt.
Kampf gegen weiße Vorherrschaft
Ihr Werk ist vor allem von der rassistischen Apartheid-Ära und dem Kampf gegen die weiße Vorherrschaft geprägt. Aber auch in ihren Schriften seit 1994 dominiert ihr Engagement für Gerechtigkeit und Menschenwürde. Politik war selbst in ihrem privaten Leben wichtig. "Ich hätte nie einen Liebhaber haben können, der meine Ansichten über Rassismus nicht geteilt hätte", sagte sie einmal.
Umso bitterer war es für die feingliedrige und attraktive, stets perfekt gekleidete Schriftstellerin, dass sich ausgerechnet in ihrem ANC, einmal an der Macht, Korruption und Klüngelei ausbreiteten. "Wir waren naiv, wir hatten uns auf die Beseitigung des Apartheid-Regimes konzentriert und nicht tief genug darüber nachgedacht, was folgen würde", so Gordimer zum Telegraph 2012.
Gordimer, die aus einem vermögenden Haus stammt, wurde in ihrer Kindheit in Springs nahe Johannesburg lange Zeit zu Hause unterrichtet. Früh begann sie mit dem Schreiben, mit vierzehn Jahren erschien ihre erste Kurzgeschichte, 1953 dann ihr erster Roman "Entzauberung", Zum 90. Geburtstag veröffentlichte ihr deutscher Verlag eine beeindruckende Auswahl von noch nicht auf Deutsch erschienenen Essays und Erzählungen. Die Autorin, die einst sehr reiselustig war, lebt zuletzt relativ zurückgezogen. Schwer verwunden hatte sie nach eigenen Worten nach 47 Jahren Ehe den Tod ihres Mannes, des 2001 verstorbenen Kunstsammlers Reinhold Cassirer, der einst vor den Nazis aus Deutschland geflohen war.