Kultur

Literaturnobelpreis an Swetlana Alexijewitsch

Die Weißrussin Swetlana Alexijewitsch erhält den Nobelpreis für Literatur 2015. Das wurde am Donnerstag in Stockholm bekannt gegeben. Die 67-Jährige erhält die wichtigste Auszeichnung der Literaturwelt "für ihr vielstimmiges Werk, das dem Leiden und dem Mut in unserer Zeit ein Denkmal setzt“, so die Begründung der Schwedischen Akademie.

"Fantastisch!"

Alexijewitsch befasst sich in ihren Büchern etwa mit dem Ersten und Zweiten Weltkrieg und den Folgen, mit dem AKW-Unfall von Tschernobyl oder mit dem Afghanistan-Krieg. Ihr Buch "Secondhand-Zeit - Leben auf den Trümmern des Sozialismus" fügt ihrem Gesamtbild des Lebens im sowjetischen Kommunismus eine weitere Facette hinzu. Ihre häufig geäußerte Regimekritik zwang Alexijewitsch immer wieder dazu, im Ausland zu leben, etwa in Italien, Frankreich, Deutschland und Schweden. Heute lebt sie in Minsk. Ihre erste Reaktion: "Fantastisch!" als Jury-Vorsitzende Sara Danius ihr die Nachricht per Telefon überbracht hatte. "Das ist ganz groß, diesen Preis zu bekommen", sagte Alexijewitsch dem schwedischen Fernsehsender SVT am Donnerstag kurz nach der Verkündung am Telefon. Es sei eine Ehre, in einer Reihe mit großen Schriftstellern wie Boris Pasternak zu stehen.

Die Auszeichnung ist mit acht Millionen Kronen (etwa 860.000 Euro) dotiert. Die Preise werden am 10. Dezember, dem Todestag Alfred Nobels, verliehen.

Die neue Ständige Sekretärin der Akademie, Sara Danius, trat um 13 Uhr vor die Presse

Schon vor der Verkündung setzten die Buchmacher auf die 67-jährige Weißrussin. Auf der Liste des Wettbüros Ladbrokes lag sie am Donnerstagmorgen vor dem japanischen Kultautor Haruki Murakami (66) und dem Kenianer Ngugi Wa Thiong'o (77) an der Spitze. Zu den Favoriten auf die begehrte Auszeichnung zählten laut den Zockern auch die US-Amerikanerin Joyce Carol Oates (77), der norwegische Dramatiker Jon Fosse (56) und der Amerikaner Philip Roth (82).

Kaninchenorakel

Ein ungewöhnlicheres - und letztlich nicht erfolgreiches - Orakel hatte die große schwedische Zeitung Dagens Nyheter: Das Kaninchen des Kulturchefs, Molly, entschied sich für das Karottenstückchen neben dem Namensschild von Ngugi Wa Thiong'o.

2014 hatte die Jury den Franzosen Patrick Modiano (70) geehrt.

Michael Krüger, früherer Chef des Hanser-Verlages, ist über den Literaturnobelpreis an die Weißrussin Swetlana Alexijewitsch hocherfreut. "Sie ist eine sehr kämpferische, tolle Person, das ist eine schöne Überraschung", sagte Krüger der Deutschen Presse-Agentur dpa in München. Der Hanser-Verlag habe alle ihre Bücher verlegt.

"Sie ist eine tapfere Frau, die eine ganz eigene Form von Dokumentarliteratur geschaffen hat, indem sie die Leute befragt hat nach ihren Lebensumständen." Gleichzeitig hob Krüger ihre Rolle in der Opposition sowohl in Weißrussland, als auch gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin hervor. "Sie wird eine große Ikone der Widerstandsbewegung werden."

Bei ihren kritischen Recherchen sei sie ein großes Wagnis eingegangen und sei dafür auch enorm angefeindet worden. "Sie hat diese Bücher alle unter den ärgsten Bedingungen geschrieben", erklärte Krüger. Nun sei sie eine berühmte Frau und als solche weithin unantastbar. Das biete ihr die Möglichkeit, die ganzen oppositionellen Bewegungen zu koordinieren. Das mit dem Literaturnobelpreis verbundene Geld könne sie dafür gut gebrauchen. "Sie wird das Geld benutzen, um ihre Arbeit weiterführen zu können", vermutete der Literaturexperte.

Der österreichische Autor und Osteuropaexperte Martin Pollack sieht die Vergabe des Literaturnobelpreises an die Weißrussin als ein politisches Signal. "Wenn man sich allein anschaut, was Alexijewitsch im vergangenen Jahr über Russland geschrieben hat, dann muss man die Entscheidung ganz klar als politisches Statement lesen", sagte Pollack.

Auschwitz-Komitee: "Mutige Kämpferin"

Die Überlebenden des Holocaust im Internationalen Auschwitz Komitee haben der Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch gratuliert. Sie sei "eine herzliche und mutige Kämpferin für die Menschen, die autoritäre Regime hinter sich zurücklassen", erklärte der Exekutiv-Vizepräsident des Komitees, Christoph Heubner, in Berlin.

"Sie hat ihnen zugehört, Worte für ihre Erinnerungen und Gefühle gefunden und ihnen so ihre Würde zurückgegeben." Alexijewitsch habe "auch an die Lebensgeschichten der jüdischen Opfer während der entsetzlichen Nazibesatzung ihrer Heimat erinnert".

Kritiker loben Wahl

Literaturkritiker Volker Weidermann hat die Vergabe des Literaturnobelpreises an die Weißrussin Swetlana Alexijewitsch (67) als "ideale Wahl" bezeichnet. Der Stockholmer Jury werde oft vorgeworfen, eher Gesinnungsentscheidungen zu treffen als literarische, sagte der Spiegel-Literaturchef und neue Gastgeber des "Literarischen Quartetts". "In diesem Fall stellt sich die Frage nicht, weil Alexijewitsch auf großartige Weise in ihrem Werk literarische Kraft und politische Notwendigkeit in eins zusammenführt", so Weidermann. "Alexijewitsch schreibt über die russische Geschichte, aber mit ihrem Blick auf die Vergangenheit erklärt sie uns Russland und die Kriege von heute."

Denis Scheck (50, Druckfrisch) hat die neue Trägerin des Literaturnobelpreises als gute Wahl gewürdigt. "Mit Swetlana Alexijewitsch wird eine Jägerin des verlorenen O-Tons der Geschichte ausgezeichnet", sagte Scheck.

Sie sei eine "brillante Dokumentaristin der Blutspur des Totalitarismus und des Krieges" und "eine Stimme der Vernunft im Chor der Irren". Der wichtigste Literaturpreis der Welt wurde der weißrussischen Autorin am Donnerstag zugesprochen.

Alexijewitschs Werke sind "Romane in Stimmen", sie verwendet dafür beispielsweise Interviews. "Historiker sagen uns, wie es war, Romanciers, wie es sich angefühlt hat. Swetlana Alexijewitschs literarische Methode der großen Symphonie ist eine Mischung aus beidem", sagte Scheck.

(APA/dpa)

Alle haben auf die 67-jährige Swetlana Alexijewitsch getippt, die Weißrussin, deren Bücher unter Dikator Lukaschenko verboten sind und die nach Jahren im Exil trotzdem wieder in Minsk lebt. Sie lag bei allen Buchmachern in Europa und Amerika voran – und gewonnen hat den 108. Literatur-Nobelpreis am Donnerstag tatsächlich Swetlana Alexijewitsch.

Was ja eigentlich eine Überraschung ist.

Man musste bei der Schwedischen Akademie durchaus auf den Südkoreaner Ko Un gefasst sein.

Gegen ihre Wahl lässt sich nichts sagen. Außer dass Philip Roth leider wieder leer ausgegangen ist.

Dokumentarische Romane schreibt sie. Sie gibt den letzten Zeugen des Zweiten Weltkriegs eine Stimme – 3,4 Millionen Menschen bzw. ein Drittel der Bevölkerung von Weißrussland sind umgekommen – und den Toten in Afghanistan und den Opfern der Katastrophe von Tschernobyl … Sie passt auf, dass die auf der Strecke Gebliebenen nicht völlig vergessen werden.

Swetlana Alexijewitsch kann zuhören und die Erinnerungen in dramatische Prosa verwandeln.. Das Erzählte hat immer mit Krieg oder Gulag zu tun. Wie Vorjahressieger Patrick Modiano schreibt sie zwar viele Texte, aber eigentlich immer nur an einem Buch über Tod und Sowjetzeit.

In ihrem bekannten Werk „Secondhand-Zeit“ steht ein 87-Jähriger auf den Trümmern des Sozialismus und zeigt seine Lenin-Figuren her. Aus ihren Geschichten wird Geschichte.

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Seit 1901 ist der Nobelpreis für Literatur bisher 107 Mal verliehen worden. Einige Zahlen und Fakten:
  • Es dominieren Preisträger aus dem westlichen Kulturraum. Führend ist Frankreich mit 15 Literaten. In den deutschsprachigen Raum ging die Auszeichnung bisher 13 Mal. Die Österreicherin Elfriede Jelinek gewann 2004, eine von nur 13 Frauen, die bisher den Literaturnobelpreis gewonnen haben.
  • Nur viermal mussten sich zwei Autoren den Preis teilen, zuletzt 1974 die Schweden Eyvind Johnson und Harry Martinson.
  • Das Durchschnittsalter der Geehrten beträgt 65 Jahre. Der jüngste ist bisher Rudyard Kipling („Das Dschungelbuch“), der 1907 mit 42 Jahren ausgezeichnet wurde. Doris Lessing war dagegen schon 88 Jahre, als sie 2007 den Preis erhielt
  • Zwei Autoren mussten oder wollten verzichten: der Russe Boris Pasternak, dem die Auszeichnung 1958 zugesprochen worden war, und der Franzose Jean Paul Sartre 1964.
  • Niemand hat mehr als einmal den Nobelpreis für Literatur erhalten.
  • Der Preis wird für das Lebenswerk eines Literaten vergeben. Bei neun Autoren hob die Schwedische Akademie eine spezielle Arbeit hervor. Bei Thomas Mann etwa war es 1929 sein RomanBuddenbrooks“, bei Ernest Hemingway 1954 „Der alte Mann und das Meer“.

Die Träger des Literaturnobelpreises mit einem ihrer Werke:


2014: Patrick Modiano (Frankreich), „Im Café der verlorenen Jugend“
2013: Alice Munro (Kanada), „Tanz der seligen Geister“
2012: Mo Yan (China), „Das rote Kornfeld“
2011: Tomas Tranströmer (Schweden), „Das große Rätsel“
2010: Mario Vargas Llosa (Peru), „Tod in den Anden
2009: Herta Müller ( Deutschland), „Atemschaukel“
2008: J.M.G. Le Clézio (Frankreich), „Der Afrikaner“
2007: Doris Lessing (Großbritannien), „Das goldene Notizbuch“
2006: Orhan Pamuk (Türkei), „Schnee“
2005: Harold Pinter (Großbritannien), „Der Hausmeister“
2004: Elfriede Jelinek (Österreich), „Die Klavierspielerin“
2003: John M. Coetzee (Südafrika), „Schande“
2002: Imre Kertész (Ungarn), „Roman eines Schicksallosen“
2001: V.S. Naipaul (Trinidad/Großbritannien), „Guerillas“
2000: Gao Xingjian (China), „Der Berg der Seele“
1999: Günter Grass (Deutschland), „Die Blechtrommel“
1998: José Saramago (Portugal), „Die Stadt der Blinden“
1997: Dario Fo (Italien), „Offene Zweierbeziehung“
1996: Wislawa Szymborska (Polen), „Salz“
1995: Seamus Heaney (Irland), „Wintering Out“
1994: Kenzaburo Oe (Japan), „Der stumme Schrei“
1993: Toni Morrison (USA), „Teerbaby“
1992: Derek Walcott (St. Lucia), „Omeros“
1991: Nadine Gordimer (Südafrika), „Burgers Tochter“
1990: Octavio Paz (Mexiko), „Der Sonnenstein“
1989: Camilo José Cela (Mexiko/Spanien), „San Camilo
1988: Nagib Mahfus (Ägypten), „Die Midaq-Gasse“
1987: Joseph Brodsky (Russland/USA), „Römische Elegien“
1986: Wole Soyinka (Nigeria), „Der Mann ist tot“
1985: Claude Simon (Madagaskar/Frankreich), „Der Wind“
1984: Jaroslav Seifert (Tschechoslowakei), „Die Pestsäule“
1983: William G. Golding (Großbritannien), „Herr der Fliegen“
1982: Gabriel García Márquez (Kolumbien), „Hundert Jahre Einsamkeit“
1981: Elias Canetti (Bulgarien/Großbritannien), „Die Blendung“
1980: Czeslaw Milosz (Russ.Reich/USA), „Lied vom Weltende“
1979: Odysseas Elytis (Griechenland), „To Axiom Esti. Gepriesen sei“
1978: Isaac B. Singer (Polen/USA), „Feinde, die Geschichteeiner Liebe“
1977: Vicente Aleixandre (Spanien), „Die Zerstörung oder die Liebe“
1976: Saul Bellow (Kanada/USA), „Herzog“
1975: Eugenio Montale (Italien), „Glorie des Mittags“
1974: Eyvind Johnson (Schweden), „Krilon-Trilogie“; Harry Martinson (Schweden), „Aniara“
1973: Patrick White (England/Australien), „Voss“
1972: Heinrich Böll (Deutschland), „Ansichten eines Clowns“
1971: Pablo Neruda (Chile), „Der große Gesang“
1970: Alexander Solschenizyn (Russland/UdSSR), „Der Archipel Gulag“
1969: Samuel Beckett (Irland), „Warten auf Godot
1968: Jasunari Kawabata (Japan), „Schneeland“
1967: Miguel Angel Asturias (Guatemala), „Legenden aus Guatemala
1966: Samuel Agnon (Österreich-Ungarn/Israel), „Gestern, Vorgestern“;Nelly Sachs (Deutschland/Schweden), „In den Wohnungen desTodes“
1965: Michail Scholochow (Russland/UdSSR), „Der stille Don“
1964: Jean-Paul Sartre (Frankreich), „Der Ekel“
1963: Giorgos Seferis (Osmanisches Reich/Griechenland), „Mythische Geschichte“
1962: John Steinbeck (USA), „Früchte des Zorns“
1961: Ivo Andric (Bosnien/Jugoslawien), „Die Brücke über die Drina“
1960: Saint-John Perse (Guadeloupe/Frankreich), „Anabasis“
1959: Salvatore Quasimodo (Italien), „Das Leben ist kein Traum“
1958: Boris Pasternak (Russland/UdSSR), „Doktor Schiwago“
1957: Albert Camus (Algerien/Frankreich), „Der Fremde“
1956: Juan Ramón Jiménez (Spanien), „Platero und ich“
1955: Halldór Kiljan Laxness (Island), „Islandglocke“
1954: Ernest Hemingway (USA), „Der alte Mann und das Meer“
1953: Winston Churchill (Großbritannien), „Die Weltkrise 1911-1918“
1952: François Mauriac (Frankreich), „Die Tat der Therese Desqueyroux“
1951: Pär Lagerkvist (Schweden), „Der Henker“
1950: Bertrand Russell (Großbritannien), „Ehe und Moral“
1949: William Faulkner (USA), „Schall und Wahn“
1948: Thomas Stearns Eliot (USA/Großbritannien), „Vier Quartette“
1947: André Gide (Frankreich), „Stirb und werde“
1946: Hermann Hesse (Deutschland/Schweiz), „Das Glasperlenspiel“
1945: Gabriela Mistral (Chile), „Spürst du meine Zärtlichkeit?“
1944: Johannes Vilhelm Jensen (Dänemark), „Die lange Reise“
1939: Frans Eemil Sillanpää (Russ.Reich/Finnland), „Dasfromme Elend“
1938: Pearl S. Buck (USA), „Die gute Erde“
1937: Roger Martin du Gard (Frankreich), „Die Thibaults“
1936: Eugene O'Neill (USA), „Trauer muss Elektra tragen“
1934: Luigi Pirandello (Italien), „Sechs Personen suchen einen Autor“
1933: Iwan Bunin (geb. in Russland, später staatenlos, Sitz in Frankreich), „Das Dorf“
1932: John Galsworthy (Großbritannien), „Die Forsyte Saga“
1931: Erik Axel Karlfeldt (Schweden), „Fridolins Lieder“
1930: Sinclair Lewis (USA), „Babbitt“
1929: Thomas Mann (Deutschland), „Die Buddenbrooks
1928: Sigrid Undset (Dänemark/Norwegen), „Kristin Lavranstochter“
1927: Henri Bergson (Frankreich), „Das Lachen“
1926: Grazia Deledda (Italien), „Asche“
1925: George Bernard Shaw (Irland/Großbritannien), „Pygmalion“
1924: Wladyslaw Stanislaw Reymont (Russ.Reich/Polen), „Die Bauern“
1923: William Butler Yeats (Irland), „Gräfin Cathleen“
1922: Jacinto Benavente (Spanien), „Die frohe Stadt des Leichtsinns“
1921: Anatole France (Frankreich), „Das Leben der heiligen Johanna“
1920: Knut Hamsun (Norwegen), „Segen der Erde“
1919: Carl Spitteler (Schweiz), „Olympischer Frühling“
1917: Karl Adolph Gjellerup (Dänemark), „Minna“; Henrik Pontoppidan (Dänemark), „Hans im Glück“
1916: Verner von Heidenstam (Schweden), „Karolinerna“
1915: Romain Rolland (Frankreich), „Johann Christof
1913: Rabindranath Tagore (Indien), „Das Postamt“
1912: Gerhart Hauptmann (Deutschland), „Die Weber“
1911: Maurice Maeterlinck (Belgien), „Prinzessin Maleine“
1910: Paul Heyse (Deutschland), „Novellen“
1909: Selma Lagerlöf (Schweden), „Gösta Berling
1908: Rudolf Eucken (Deutschland), „Mensch und Welt“
1907: Rudyard Kipling (Brit.Indien/Großbritannien), „Das Dschungelbuch“
1906: Giosuè Carducci (Italien), „Odi Barbare
1905: Henryk Sienkiewicz (Polen), „Quo vadis?“
1904: Frédéric Mistral (Frankreich), „Mireio“; José Echegaray (Spanien), „Wahnsinn oder Heiligkeit“
1903: Bjørnstjerne Bjørnson (Norwegen), „Über die Kraft“
1902: Theodor Mommsen (Deutschland), „Römische Geschichte“
1901: Sully Prudhomme (Frankreich), „Gedichte“

Seit 35 Jahren greift Swetlana Alexijewitsch als einstige Journalistin mit dokumentarischer Präzision auf, woran Menschen leiden und oft zerbrechen: Katastrophen, Krieg und Diktatur. Nun wird das Oeuvre der weißrussischen Schriftstellerin - zumindest im Ausland - gewürdigt. Am Donnerstag wurde der 67-jährigen Chronistin menschlichen Leids der diesjährige Literaturnobelpreis zugesprochen.

Ein Grund dafür dürfte nicht zuletzt auch auf ihre harte Kritik am diktatorischen System unter Präsident Alexander Lukaschenko zurückzuführen sein. Geboren wurde Alexijewitsch als Tochter eines Journalisten und einer Lehrerin am 31. Mai 1948 im westukrainischen Stanislaw (heute Iwano-Frankowsk). Nach dem Journalistikstudium arbeitete sie zunächst bei einer Lokalzeitung sowie als Lehrerin, geriet aber auch damals schon mit den Sowjetbehörden in Konflikt. Ihre Arbeit als Journalistin verlor sie, als sie in den 1980ern in dem Buch "Der Krieg hat kein weibliches Gesicht" mit dramatischen Erinnerungen von Frauen angeblich das Andenken des Zweiten Weltkrieges beschmutzte.

Brechen ließ sich die auch für Drehbücher, Theaterstücke und durch Fernseh- und Rundfunksendungen bekannte Autorin aber nie. Alexijewitschs Erfolg auch im Ausland liege vor allem an ihrer großen Kunst, journalistische Beobachtungsgabe mit einer eindringlichen Prosa zu verbinden und so die Herzen zu berühren, meinte einst die Politologin Maryna Rakhlei.

Alexijewitsch setzte nicht nur dem Afghanistan-Krieg der Sowjetunion ein literarisches Zeugnis mit dem Buch "Zinkjungen" (1989). Sie gab auch Strahlenopfern nach der Atomkatastrophe von Tschernobyl von 1986 eine Stimme. "Tschernobyl. Eine Chronik der Zukunft" heißt die Arbeit, die 2011 mit einem aktuellen Vorwort von ihr neu erschien - aus Anlass der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima.

Als der als letzter Diktator Europas kritisierte Lukaschenko mit russischer Hilfe ein Kernkraftwerk an der EU-Grenze bauen wollte, lehnte sie das kategorisch ab. Doch ihre Appelle fanden in den staatlich kontrollierten Staatsmedien kein Gehör. "Die Machthaber tun so, als ob es mich nicht gibt, lassen mich nirgends auftreten, nicht im Fernsehen, nicht im Radio, nicht in Schulen oder Universitäten", klagte die Autorin einmal. Niemand verlege in Weißrussland ihre Werke.

Im Westen hingegen erregte sie etwa mit ihrem 500-seitigen Opus-Magnum "Secondhand-Zeit. Leben auf den Trümmern des Sozialismus" Aufsehen, das 2013 bei Hanser erschien. Psychologisch einfühlsam stellt das Buch anhand einzelner Menschenleben den bisher wohl umfassendsten Versuch dar, die Epoche der Sowjetunion und die Folgen ihres Zusammenbruchs emotional begreifbar zu machen.

Alexijewitsch selbst hat immer wieder lange Reisen in den Westen unternommen und kehrte trotz ihrer oppositionellen Haltung stets in ihre Heimat zurück. "Ich will zu Hause leben, unter meinen Leuten, meinen Enkel aufwachsen sehen", so ihre Begründung. Außerdem sei Quelle ihres Schaffen immer das Gespräch mit den Menschen gewesen. "Und das kann ich am besten hier und in meiner Sprache", meint die Autorin, die 2013 mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels ausgezeichnet wurde.

Zuletzt erschien 2014 "Die letzten Zeugen. Kinder im Zweiten Weltkrieg", in dem sie auf erschreckende Weise zeigt, dass Menschen traumatische Kindheitserlebnisse ein Leben lang mit sich herumschleppen. Die Autorin meinte damals, sie wolle die Hoffnung dennoch nicht verlieren, dass der Mensch am Ende doch etwas lernt aus dem Blutvergießen. "Ich möchte hoffen, dass das so ist. Und ein Dritter Weltkrieg nicht kommt. Es ist doch so interessant zu leben."
(APA/dpa)

Zum ersten Mal in der über 200-jährigen Geschichte der Schwedischen Akademie steht eine Frau an der Spitze der Jury für den Literaturnobelpreis. Zum 1. Juni hat die Literaturwissenschafterin Sara Danius das Amt des Ständigen Sekretärs von dem Schriftsteller Peter Englund übernommen. Als Jurychefin wird sie in diesem Jahr den Literaturnobelpreisträger verkünden.

Die Stockholmerin hat in ihrer Heimatstadt und Paris studiert, in England, den USA und Berlin geforscht. Als Literaturkritikerin schrieb sie unter anderem für die große Tageszeitung "Dagens Nyheter". Als Schriftstellerin ist die Schwedin auch außerhalb von Literatur und Kulturtheorie aktiv, schreibt Bücher über das Kochen und über schwedische Keramik. Nach der Schule arbeitete sie einige Jahre als Croupière in einem Stockholmer Casino. Seit 2013 ist Danius Professorin für Literaturwissenschaft an der Uni Stockholm.

Der "Achtzehn", wie die Akademie aufgrund ihrer Mitgliederzahl auch genannt wird, gehört die 53-Jährige ebenfalls erst seit 2013 an. Im Jahr darauf entschied sie auf "Stuhl Nr. 7" zum ersten Mal über den Nobelpreis mit, der an den Franzosen Patrick Modiano ging.

Englund hatte den Posten als Ständiger Sekretär seit 2009 innegehabt. Er ist in der Akademie als normales Mitglied tätig, da die Mitgliedschaft lebenslang gilt. Auch Englunds Vorgänger Horace Engdahl und Sture Allen gehören dem Gremium noch an.

Über seine Nachfolgerin schrieb der Historiker in seinem Blog: "Sie ist verdammt tüchtig und ich bin überzeugt davon, dass sie diesen Job auf ausgezeichnete Art und Weise machen wird." Nur einen Rat wolle er Danius mit auf den Weg geben, den er seinerzeit auch von Engdahl bekommen habe: "Sei einfach du selbst."

(APA/dpa)