"Literarische Wunder": László Krasznahorkai mit Staatspreis geehrt
Der ungarische Schriftsteller László Krasznahorkai (67) ist am Montag im Solitär der Universität Mozarteum Salzburg mit dem Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur ausgezeichnet worden. Die mit 25.000 Euro dotierte Ehrung wurde von Kunst- und Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer (Grüne) überreicht. "Jedes seiner Bücher ist ein literarisches Wunder", sagte sie, er habe ein "einzigartiges und eigensinniges Werk" geschaffen, "wohldurchdacht und unnachahmlich".
Krasznahorkai sei ein "ungarischer Europäer" und "ein auf vielen Kontinenten beheimateter Weltbürger", der einzigartig in seinem Stil sei, hemmungslos in der Schaffung realer und surrealer Szenen, maßlos in seinen Sätzen. Auf diese ausufernden Sätze ging auch Laudator Klaus Kastberger ein. Sein Mitte Oktober in deutscher Übersetzung bei S. Fischer erscheinende Roman "Herscht 07769" bestehe etwa aus einem einzigen langen Satz. In dem Buch, vom Verlag angekündigt als "Roman voll beängstigender deutscher Gegenwart, mit melancholischem Humor und abgründigem Sarkasmus", geht es um die Zustände einer kleinen Stadt in Thüringen, aber auch um ein Bach-Ensemble. Wohl nicht zuletzt deshalb war die Wahl der Musikstücke, mit denen der junge finnische Pianist Joonas Ahonen den Festakt untermalte, auf Bach und Ligeti gefallen.
Diese Sätze hätten im deutschsprachigen Raum trotz hervorragender Übersetzungen dazu beigetragen, dass Krasznahorkai hierzulande "noch fast ein Geheimtipp" sei, während er im englischsprachigen Raum "fast Kultstatus" genieße, sagte Kastberger und zitierte einen Ausspruch von Susan Sontag, wonach der Autor "der ungarische Meister der Apokalypse" sei - eine menschengemachte Apokalypse freilich, denn Krasznahorkai bezöge sich immer auf den Verlust des Humanismus in der Gesellschaft. "Das aktuell noch kaum Denkbare bekommt bei ihm fiktionalen Raum", die Verhältnisse in Ungarn bildeten die Grundierung seiner Bücher. Da passe es ins Bild, dass ein mit dem neuen Schuljahr in Ungarn in Kraft tretender Lehrplan Bücher von ihm und seinen Kollegen Kertesz, Nadas und Esterhazy von der Leseliste gestrichen habe.
Während Kastberger literarische Verwandtschaften zu Thomas Bernhard, Franz Kafka und Samuel Beckett ins Treffen führte, fanden sich in der als Aufzählung angelegten Dankesrede des Geehrten neben Bernhard und Kafka auch Ludwig Wittgenstein, Rainer Maria Rilke, Heimito von Doderer, Jimi Hendrix, Bob Dylan und Patti Smith. Er dankte aber auch dem Erschaffer der Natur, der ungarischen Sprache und - zuletzt: "dem Gott".
"László Krasznahorkai ist ein Meister der literarischen Intensität. In komplex verflochtenen Sätzen beschreibt er in seinen Erzählungen und Romanen heruntergekommene Wirklichkeiten, enttäuschte Hoffnungen sowie die Gewalt gesellschaftlicher Zusammenhänge. Er entwirft verstörende Panoramen der ungarischen Kleinstadt, begibt sich auf Expeditionen in weit entfernte Weltgegenden und kehrt doch immer wieder zu den Verhältnissen seines Heimatlandes zurück", hatte die Jury, die neben dem Germanisten und Literaturkritiker Kastberger aus den Autoren Xaver Bayer und Paulus Hochgatterer, der Journalistin Karin Cerny und der Verlagsleiterin Claudia Romeder bestand, ihre Wahl begründet. "Krasznahorkai ist ein wahrhaft europäischer und ein philosophischer Autor: Gewaltige Visionen einer anderen Welt durchziehen seine Bücher, Heilsversprechen bauen sich auf und stürzen in sich zusammen. In den Ritzen der Melancholie aber nistet der Humor. Ganz so, als würde es sich dabei um den eigentlichen Agenten eines freieren Lebens handeln."
Krasznahorkai wurde am 5. Jänner 1954 in Gyula (Ungarn) geboren und lebt heute nach langen Aufenthalten u.a. in Japan, Berlin und den USA in Triest. Zu seinen auf Deutsch übersetzten Werken zählen "Satanstango", "Melancholie des Widerstands", "Der Gefangene von Urga" sowie "Im Norden ein Berg, im Süden ein See, im Westen Wege, im Osten ein Fluss" oder "Baron Wenckheims Rückkehr". Im Jahr 2015 wurde der Autor mit dem renommierten Man Booker International Prize ausgezeichnet.
Der Österreichische Staatspreis für Europäische Literatur wird jährlich für das literarische Gesamtwerk einer europäischen Autorin oder eines europäischen Autors verliehen, das international besondere Beachtung gefunden hat. Das Werk muss auch in deutschsprachiger Übersetzung vorliegen. Zu den bisherigen Preisträgern zählen der spätere Literaturnobelpreisträger Patrick Modiano (2012), Mircea Cartarescu (2015), Karl Ove Knausgard (2017), Zadie Smith (2018) oder Michel Houellebecq (2019). Im Vorjahr wurde Drago Jancar ausgezeichnet.