Kultur

Cohen kam, sang und euphorisierte

Er kam, sang und euphorisierte. Mit Leonard Cohen ist es wie mit dem Sex: Die Menschen gehen hin und tun es immer wieder, nur um zu sehen, ob es noch so schön ist wie beim letzten Mal.

Die Pilgerreise ins Gestern in der sehr gut besuchten Wiener Stadthalle beginnt der alte „Ladies’ Man“ und Emotionalienkrämer mit „Dance Me To The End Of Love“ für eine Generation mit hoher Halbglatzendichte im Publikum.

Charismatiker on Tour

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Schon nach Sekunden geht Cohen auf die Knie. Ein Charmeur mit Brummstimme breitet seine nackte Seele vor den hungrigen Zuhörern aus und feiert heilige Messe. Mit „Hallelujah“ und allem Drum und Dran. Und hält immer wieder dankend den Hut vor der Brust, wie zum Kirchgang. „Danke“, sagt der 78-Jährige nach der Pause, „dass Sie geblieben sind.“

Die sonore, schläfrige, maulfaule Nichtstimme intoniert mit hypnotischer Wirkung Weltschmerz und skizziert poetische Bilder. Die Welt scheint heute Abend reif zu sein für den entspannten Lebenskünstlersong. Für melancholische Herbstlieder. Für Lieder mit Trauerflor. Das Repertoire – unter anderem Songs vom aktuellen Album „Old Ideas“ – unterstreicht Cohens Image als letzter Weiser der Pop-Musik.

Dunkler Bariton

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„I’ve seen the future, brother: it is murder.“ Der Blick in die Zukunft war für Cohen schon 1992 düster. Wie viele seiner mollgetönten Songs, die die Zerbrechlichkeit der Welt, den Wunsch nach zügellosem Sex, Rebellion und Gott zum Thema haben.
Mit dem sterbenstraurigen „Chelsea Hotel No. 2“ schmachtete Cohen einst Janis Joplin nach. „Avalanche“ ist Kitsch mit Zuckerguss. Na und? Unsentimental und zeitlos klingt ein Oldie und Mega-Hit, verziert mit einem furiosen Gitarrenintro: „Like a bird on a wire, like a drunk in a midnight choir ...“

Oft übersehen wird, dass der Troubadour der mystischen Liebe zugleich ein subtiler Humorist ist. „I was born with the gift of a golden voice“, grummelt er seit 25 Jahren selbstironisch in „Tower of Song“, dem feinen Tribut an sein Country-Vorbild Hank Williams.
„I’m Your Man“, dieses ultimative Unterwerfungsangebot vom Ende der 80er-Jahre, kommt allzu tranig daher. Bei diesem Song ist ein anderer Kanadier mein Favorit: Michael Bublé singt’s mit mehr Feuer.

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Exakt um 21.19 Uhr holten sich wohl einige bei „Suzanne“, vermutlich Cohens bekanntester Komposition, Brandblasen am Daumen von den hochgehaltenen Feuerzeugen. Das Wiedererkennen von „So Long, Marianne“ löst vereinzelt Entzückensschreie aus, jenes Abschiedslied, das mit der sarkastischen Versicherung auftrumpft, nun endlich beginne wieder die Zeit, froh zu sein, zu lachen, zu tanzen, zu leben. Ohne die Muse als strenge Kontrolleurin.

Zu „Take This Waltz“ strömen die Menschen aus den hinteren Sitzreihen zum Schunkeln nach vorn. Bei den Encores ist Cohen in Geberlaune und gibt sich kokett: „I want to speak with Leonard. He’s a lazy bastard living in a suit“, singt er in „Going Home“. Bedankt sich bei seinen Fans, dass sie in all den Jahren seine Songs „am Leben gehalten haben“ – und geht ab mit kleinen Luftsprüngen.

KURIER-Wertung: ***** von *****