Leonard Cohen: Ein ironischer Pate der Düsternis
Canada High Commission im Nobelbezirk Mayfair in London: Im MacDonald House, für das 1999 noch kein Käufer die erwarteten 50 Mio. Pfund zahlen wollte und das jüngst um mehr als 300 Mio. Pfund an einen indischen Immobilien-Tycoon ging, kam Leonard Cohen vor ein paar Tagen auf Stippvisite vorbei.
Der kanadische Rockpoet, der Songs wie "Suzanne", "Bird On A Wire" oder "First We Take Manhattan" zu Welthits machte, definierte einmal: Erfolg sei für ihn schlicht zu überleben.
Und beteuerte nun vor Journalisten aus 25 Ländern: Es sei purer Zufall, dass er heute seinen 80. Geburtstag feiert und zeitgleich sein neues Album erscheint, "Popular Problems" (Sony).
Sein 13 Studio-Album schleicht heran. "Slow". Wie auf Zehenspitzen. Die Langsamkeit, sagt Cohen, war keine Masche. Er tat zeitlebens nicht nur so, sondern er konnte praktisch gar nicht anders. "It’s not because I’m old / It’s not because I’m dead / I always liked it slow / That’s what my momma said."
"Popular Problems" klingt wie das Wunschprogramm für eine Bar mit Whiskey-Happy-Hour. Mit neuen Tönen "der Hoffnung, der Verzweiflung, der Trauer und des Glücks", sagt Cohen mit Brummbariton.
Lieder mit Trauerflor
Der Chef-Melancholiker kommt mit noch brüchigerer Stimme als zuletzt jetzt dort an, wo Tom Waits immer schon war: bei einem tiefen Raspeln der Düsternis, "Almost Like The Blues".
Aber mit Sonne im Gemüt. Zum 80er werde er sich vielleicht nach etwa 15 Jahren Pause wieder eine Zigarette anzünden, "auch wenn es nicht mehr viele Orte gibt, an denen man rauchen darf".
Bei acht der neun neuen Songs zu populären Problemen wie Krieg und Religion, verlorener Liebe und Gottessuche, kamen Ideen von Patrick Leonard: Er hat als Komponist und Produzent bereits mit Elton John, Madonna, Bryan Ferry and Rod Stewart gearbeitet und war auch an vier Songs auf Cohens Vorgänger-Album "Old Ideas" (2012) beteiligt.
Für den Kanadier russisch-jüdischer Abstammung und singenden Sinnsucher hat "ein guter Song Fenster und Türen – du kannst hineintreten, wenn du willst. Das Lied selbst muss aber schnell von Herz zu Herz fliegen. Wenn es das nicht schafft, hat es verdient, vergessen zu werden."
"Born in Chains" musste 40 Jahre reifen. Cohen: "Dieses Lied habe ich immer wieder umgeschrieben, um den Änderungen in meiner theologischen Haltung gerecht zu werden."
"Diese Welt ist ein Schlachthaus. Wer braucht glückliche Songs?", sagte der Pate der Düsternis ("godfather of gloom"): "I’ve seen the future, brother, it is murder." Er ist sich treu geblieben: Natürlich sei "Popular Problems" ein Spiegel der Welt. "Das Album gibt die Zeit, in der wir leben, atmosphärisch wieder", sagte er und verriet doch nichts Konkretes über seine politische Haltung – außer jener zu seiner Heimat Kanada: "Ich bin ein Patriot."
Das nächste Album sei schon in Arbeit. Nach "Popular Problems" werde es wohl "Unpopular Solutions" heißen, witzelte der Poet und zwinkerte mit den Augen.
Dahinplätschernd Wie klingen die populären Probleme? Im tiefen Schwarz schafft Leonard Cohen – umspült von Blues, Gospel und sogar Country – Schattierungen, die sich wie Farben anfühlen. Da hadert einer lustvoll mit Gott und der Liebe, Himmel und Hölle. Zu Bass-Groove, Orgel, Piano ...
Entbehrlich "Did I Ever Love You" und "My Oh My" klingen wie Schlager. Großartig dagegen der mit orientalischem Gesang angerichtete Soulfunk von "Nevermind" mit diabo- lischem Ausklang: "I live among you, well disguised ..."
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