Kultur

"Lazarus" im Volkstheater: An der Essenz vorbei gespielt

„Beurteilt uns nicht zu kritisch“, bat Regisseur Miloš Lolić vor wenigen Wochen, als das Volkstheater seine Produktion des David-Bowie-Musicals „Lazarus“ bei einer Pressekonferenz vorstellte. Er hätte sich nicht sorgen müssen. Von kritischer Beurteilung war bei der Premiere Mittwochabend nichts zu spüren.

Das Ensemble wurde umjubelt - auch wenn vielen dabei wohl die Schlüssigkeit dieser Umsetzung des Stoffs verborgen blieb. Aber „Lazarus“, das von David Bowie und dem Dramatiker Enda Walsh geschrieben wurde, und am 7. Dezember 2015 in der Inszenierung von Ivo van Hove in New York Premiere hatte, ist auch nicht als logisch lineare Story angelegt. Das Musical ist eine Art Fortsetzung des Romans „The Man Who Fell To Earth“ von Walter Tevis, in dessen Verfilmung Bowie 1976 die Hauptrolle spielte. Dabei kommt der Alien Thomas Jerome Newton auf die Erde, um für seinen Planeten Wasser zu finden. Aber er wird betrogen und von neugierigen Wissenschaftlern so zugerichtet, dass er nicht mehr zurückkehren kann.

Lazarus“ trifft Newton (im Volkstheater von Günter Franzmeier gespielt) 40 Jahre danach. Newton hat immer noch Sehnsucht nach seiner großen irdischen Liebe Mary-Lou, kann nicht altern, nicht sterben und betäubt den Schmerz und die Leere in seinem Leben mit Gin. Sein Verstand spielt ihm Streiche, er glaubt verrückt zu werden. Da taucht ein Mädchen auf, das ihm helfen will.

Was in der New Yorker Originalinszenierung eine faszinierend gestaltete Abfolge von Szenen war, die einerseits die Karriere-Stationen von Bowies Leben, andererseits auch eine „existenzielle Meditation“ (Ivo van Hove) über Sinnsuche, Liebe und Hoffnung nachzeichneten, ist im Volkstheater von vornherein anders angelegt.

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Wo Ivo van Hove nicht klar determinierte, was wahr ist, und was sich nur in Newtons Kopf abspielt, gibt es in der Wiener Inszenierung eine klare Trennung zwischen Realität und Traumwelt. Dargestellt wird das dadurch, dass die erste und die letzte Szene vor dem Vorhang gespielt werden, während das Gros des Geschehen in der mit turmhohen Glasvitrinen, ausgestopften Tieren und drehbaren Wänden gestalteten Kulisse, also der Traumwelt, stattfindet.

Höchst ästhetisch wirkt dieses Bühnenbild, mit einem schönen Wechselspiel zwischen den in Regenbogen-Farben beleuchteten Vitrinen und dem schwarz/weiß gestalteten Rest der Sets. Aber es trägt - wie auch die unmotiviert wirkenden Tiere - nichts dazu bei, die Einsamkeit und Verzweiflung in Newtons Lebens greifbar zu machen. Es lenkt im Gegenteil eher davon ab.

Dazu kommt, dass Franzmeier zwar ganz gut singt (unter anderen „Heroes“ und den Titelsong), aber zu animiert, zu aufgedreht agiert. Er ist zu sehr Mensch, zu impulsiv und zu vital. Den entrückten, distanzierten Alien, der innerlich schon tot ist und eigentlich nur mehr körperlich sterben will, nimmt man ihm nicht ab.

Vielleicht auch, weil Miloš Lolić mit Fortdauer des Stückes mehr und mehr Bewegung in die beiden Drehbühnen bringt und eine immer stärke physische, fast schon akrobatische Leistung von seinen Darstellern fordert. Sie müssen auf den Vitrinen herumturnen, tanzen wie Bowie-Kollaborateurin Louise Lecavalier von La La La Human Steps (was natürlich nicht gelingt), und sich am Boden wälzen. Am ausgiebigsten macht Letzteres Christoph Rothenbuchner, der den dämonischen Mörder Valentine hervorragend singt und spielt, allerdings in dieser Inszenierung, die die komischen Aspekte von Lazarus in den Vordergrund stellt, nicht wirklich schrecklich sein darf. Sein Valentine wirkt vielleicht ein bisschen verrückt, aber nicht verhängnisvoll bedrohlich, wie die Rolle eigentlich angelegt ist.

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Sehr glaubwürdig dagegen ist Katharina Klar in der Rolle des Mädchens. Anfängliche Unsicherheiten in ihrer Stimme waren wohl dem Premieren-Lampenfieber zuzuschreiben. Denn später gelang ihr „Life On Mars“, der wohl am schwersten zu singende Bowie-Song in dem Musical, gut. Szenenapplaus gab es später dann auch bei „Absolute Beginners“ und „All The Young Dudes“.

Auch wenn das musikalische Niveau nicht an das eines ein Bowie-Konzertes heranreicht (aber wer wird das auch je können?), wird die Volkstheater-Produktion von „Lazarus“ Bowie-Fans sicher Spaß machen. Sie ist ein buntes Kaleidoskop aus ein paar Hits des Meisters, Fan-Favoriten wie „The Man Who Sold The World“ und „Changes“ und witzigen Dialogen.

An der Essenz des Stücks, der „existenziellen Meditation“ über Sinnsuche und die Sehnsucht nach Liebe, die Bowie, Walsh und van Hove mit dem Original etablierten, spielen Miloš Lolić und sein Team aber vorbei. Hier wirken nur die Songs nachhaltig (was mit Bowie-Material auch nicht super schwer ist). Aber die abgründigen Seiten der Charaktere, was sie antreibt und was ihre kaputten Seelen quält, wird nicht spürbar. Das Stück als Ganzes, das in New York mit extrem kargen Bühnenbild und höchst raffinierten Projektionen auch ohne linearer Story verstörte und zu tiefst bewegen konnte, ist im Volkstheater zu einer netten Unterhaltung geworden.