Andreas Mailath-Pokorny: "Teil einer aussterbenden Spezies"
Von Thomas Trenkler
KURIER: Sie gehen also am 24. Mai – zusammen mit Bürgermeister Michael Häupl. Können Sie retrospektiv offener reden – auch über die Probleme?
Andreas Mailath-Pokorny: Ich habe immer versucht, offen zu reden.
Tatsächlich? Ich vernahm nie eine Kritik an Finanzstadträtin Renate Brauner. Sie hätte ja zum Beispiel schon viel eher das Geld für Sanierung des Wien Museums bereitstellen können.
Ich glaube nicht, dass man allfällige Differenzen öffentlich austragen soll. Man hat als Stadtregierung gemeinsam zu arbeiten. Naturgemäß muss das Kulturressort schauen, mehr Geld zu bekommen – und das Finanzressort muss schauen, dass möglichst wenig Geld ausgegeben wird. Das ist ein prinzipieller Konflikt, der aber immer freundschaftlich gelöst wurde.
Zum Ressort von Brauner gehört die Wien Holding, in die viele Kultureinrichtungen eingegliedert wurden – von den Vereinigten Bühnen Wien (VBW) über das Jüdische Museum bis zum KunstHaus. Ist es tatsächlich sinnvoll, dass nicht der Kulturstadtrat für die Kulturbetriebe verantwortlich ist?
Wir sind immer akkordiert vorgegangen – auch bei den Besetzungen. Es gab nie Probleme. Aber ich verhehle nicht, dass die Befassung von zwei Administrationen komplizierter ist. Ja, da und dort hätte man Entscheidungen schneller treffen können. Und ja, eine Zuständigkeit wäre ausreichend.
Brauner verlängerte die Doppelfunktion von Franz Patay als Rektor der Musikuniversität und als Generaldirektor der VBW. Eine richtige Entscheidung?
Die Doppelfunktion wird mit Sicherheit bald beendet werden.
Pro Jahr fließen etwa 20 Millionen Euro in die Musical-Sparte der VBW. Woher rührt der Affenliebe der Sozialdemokraten zum Musical?
Gegenfrage: Woher rührt die Hochnäsigkeit des Feuilletons gegenüber dem Musical? Es ist eine Kunstform, die sehr viele Menschen anspricht. Und: Wenn wir die beiden historischen Theater, das Ronacher und das Raimundtheater, nicht abreißen, sondern bespielen wollen, dann kommt das Longrun-Musical am kostengünstigsten.
Patays Vorgänger, Thomas Drozda, hat Ausbaupläne fürs Raimundtheater vorgelegt. Denn mit einer Erhöhung der Sitzplätze ließe sich das Haus weit wirtschaftlicher führen. Die Stadt setzt diese Pläne aber nicht um.
Es geht nicht alles, man muss Prioritäten setzen. Die Stadt finanziert nun den Um- und Ausbau des Wien Museums mit 108 Millionen Euro. Dieses Projekt war mir wichtiger. Daher wird das Raimundtheater nur grundsaniert.
Themenwechsel. Sie wollten die Wiener Festwochen nach Vorbild des Donaufestivals neu aufsetzen.
Ich hatte eben festgestellt, dass eine Stagnation – auf hohem Niveau – eingetreten ist: ästhetisch, künstlerisch und vom Publikum her. Zudem glaube ich, dass ein Festival rascher auf gesellschaftliche Prozesse reagieren muss.
War die Bestellung von Tomas Zierhofer-Kin zum Intendanten richtig?
Das erste Jahr ist nicht übermäßig gut angekommen. Aber es kamen junge Besucher hinzu – und das war auch mein Auftrag. Für ein Resümee ist es noch zu früh. Man sollte jedem zumindest zwei, wenn nicht drei Saisonen die Chance geben, seine Pläne zu verwirklichen. Und ja: Kunst ist Risiko. Und das noch größere Risiko sind Besetzungen. Ich habe in den letzten 17 Jahren gut 100 Personen bestellt. Die überwiegende Mehrzahl agierte erfolgreich.
Wolfgang Kos war sicher eine hervorragende Wahl, um das Historische Museum neu zu positionieren. Wer noch?
Ich will niemanden vergessen, aber ein Beispiel: Thomas Gratzer. Wie schwierig war es, den Rabenhof zu etablieren! Und was ist das für ein Gravitationsfeld geworden!
In der SPÖ sähe man Gratzer gerne als Volkstheaterdirektor. Denn man äußert sich kritisch über Anna Badora.
Ich habe nicht alle Produktionen gesehen, aber alle, die ich gesehen habe, waren sehr gut. Und der Spielplan ist sehr spannend. Aber wir leben in einer Mediengesellschaft. Man muss daher viel Wind um das machen, was man Gutes macht. Das habe ich auch Badora gesagt.
Die Sitzplatzanzahl wurde verringert, die Auslastung ist dennoch trist.
Ich wäre kein guter Kulturstadtrat, wenn ich bei einer Auslastung von 62 oder 65 Prozent sagen würde: Jetzt ist Schluss! Badora sollte ein längerer Atem zugestanden werden. Kunst ist Probieren. Und man muss auch Fehler machen können.
Gerald Matt kritisiert Sie laufend in „Heute“. War es richtig, ihn als Kunsthallen-Direktor abzuberufen?
Ich schätze ihn als kritischen Geist. Aber es gab auch aus dem Haus heraus starke Vorbehalte. Daher kamen wir gemeinsam zur Überzeugung, die Sache zu beenden. Und wahrscheinlich ist es nach einer gewissen Zeit ohnedies ganz gut, wenn es zu einem Wechsel kommt. Das gilt auch für mich. Ganz allgemein: Ich glaube, dass die Kulturszene bunte Vögel mit Ecken und Kanten braucht. Aber die Buntheit darf nicht auf Kosten der Allgemeinheit gehen.
17 Jahre sind eine respektable Zeit. Wie geht es mit Ihnen weiter?
Ich bleibe Präsident der sozialdemokratischen Akademikervereinigung und nehme eine Auszeit.
Sind Sie nicht dienstfreigestellt – und nach dem 24. Mai wieder Mitarbeiter des Bundeskanzleramts?
Derzeit bin ich Stadtrat. Wie es weitergeht, sehen wir danach.
Was war Ihnen am wichtigsten?
Die öffentlichen Einrichtungen zu erhalten. In einer Zeit des Neoliberalismus halte ich es für die Lebensqualität dieser Stadt essenziell, dass es ein Bekenntnis zu öffentlichen Einrichtungen gibt. Und es gibt hier eine Leidenschaft für die Kunst. Ich würde mir wünschen, dass dies in Zukunft bleibt. Und dass ich nicht Teil einer aussterbenden Spezies bin, die das Öffentliche im Kulturbetrieb verteidigt.
Was noch soll wichtig sein?
Was für die Stadt unendlich wichtig ist: etwas wie Weltoffenheit sicherzustellen. Vielfalt ist Reichtum. Das klingt jetzt nach Plattitüde, ist es aber nicht.