Kultur

Küssende Ecken, gebaute Gemälde

Wären Galerieausstellungen ein Gegenstand der Boulevard-Berichterstattung, würde man angesichts des aktuellen Programms in Salzburger Galerien vermutlich ein „Duell“ ausrufen: Hier der Wild-Expressive, dort der Nüchtern-Abstrakte, Apoll und Dionysos – ein klassisches Gegensatzpaar.

Eminenzen

Tatsächlich ist es wohl eher Zufall, dass zwei Eminenzen der Gegenwartskunst, die trotz ihres Einflusses keine allzu geläufigen Namen sind, parallel zur Osterzeit zu sehen sind: Die Galerie Thaddaeus Ropac am Mirabellplatz zeigt bis 7. 5. ihre erste Einzelausstellung des Malers Emilio Vedova (1919– 2006), dessen Nachlass die Galerie seit 2015 betreut.

Nikolaus Ruzicska präsentiert in seiner Galerie (Faistauergasse 12) Werke von François Morellet, der am 30. 4. – dem letzten Tag der Schau – 90 Jahre alt wird.

Beide Ausstellungen zu sehen, ist nicht zuletzt deshalb ein lustvolles Unterfangen, weil sich die scheinbaren Gegensätze der beiden Künstler bei näherer Betrachtung zunehmend auflösen.

Der Franzose Morellet, der als ein Hauptvertreter der konkreten Kunst gilt, liebt es nämlich, die Strenge seiner Konstruktionen zu untergraben. Morellets Werke entstehen zunächst durch ein System von Regeln, nach denen quadratische oder dreieckige Leinwände, Eisenwinkel oder Neonstäbe in bestimmte Konstellationen gebracht werden. Durch suggestive Titel oder Kommentare öffnet der Künstler jedoch die Tür für Interpretationen: So könnten etwa die drei Winkel-Paare mit dem Titel „Faut le Fer“ (frz. „Il faut le faire“ = „man muss es tun“, „fer“ = Eisen, Anm.) in der Galerie als Küssende oder Kopulierende gelesen werden, heißt es. Es hilft zu wissen, dass Morellet lange sein Auslangen als Spielzeugfabrikant fand: Die Reduktion schlägt bei ihm ins Spiel um.

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Die mächtigen Leinwände des Emilio Vedova in der Galerie Ropac erscheinen mit ihren Pinselschwüngen zunächst als Ausuferungen malerischen Spieltriebs. Der mehrfache documenta-Teilnehmer, der in den 1980er-Jahren zu einer Inspirationsfigur der „Neuen Wilden“ avancierte, wehrte sich zeitlebens jedoch gegen seine Etikettierung als „Informel“-Künstler: „Das ist oberflächlich. Meine Arbeiten sind gebaut“, erklärte er.

Konstruierte Wildheit

Tatsächlich stecken sich in Vedovas Bildern nicht nur Analogien zu Malern wie Tintoretto, in deren Tradition sich der Venezianer sah (Vedovas einstiges Atelier im Stadtteil Zattere ist übrigens ein echter Geheimtipp für Lagunenstadt-Besucher). Mit ihren Kontrasten und klar unterteilten Segmenten sind Vedovas Werke durchaus auch „Konstruktionen“ – jedes Bild hat Struktur, ist mehr als eine Spur malerischer Aktion.

Es ist stets erhellend zu sehen, dass auch höchst unterschiedliche Kunstwerke einander etwas zu sagen haben. Sammler, die einen direkten Dialog in ihrem Wohnzimmer ausprobieren möchten, müssen für Vedova-Großformate übrigens zwischen 300.000 und 500.000 Euro veranschlagen. Morellets Arbeiten sind zwischen 65.000 und 76.000€ zu haben.

Info

Emilio Vedova: Bis 7. 5.; www.ropac.net.

François Morellet: Bis 30. 4., www.ruzicska.com.

Werke von Morellet sind bis 26. 6. auch im Museum Spoerri in Hadersdorf/Kamp, NÖ, zu sehen. www.spoerri.at