Bildhauerei, bröckelnde Monumente und die Realität des Kriegs
Von Michael Huber
Ali Cherri konnte dem Aufbau und der Eröffnung seiner Solo-Schau in der Wiener Secession Anfang Dezember nicht persönlich beiwohnen: Seine Eltern, die in der libanesischen Hauptstadt Beirut lebten, waren Ende November bei einem israelischen Bombardement ums Leben gekommen.
Ein solches Ereignis relativiert zweifellos die Wichtigkeit der Kunst - und doch ist gerade Cherris Werk dazu angetan, weite Bögen zu spannen und einzelne Schicksale in einen weiteren Kontext zu stellen.
Renommierter Bildhauer
Der Künstler selbst lebt seit vielen Jahren in Paris, wo er sich als Bildhauer einen Namen machen konnte: Museen wie das Centre Pompidou oder das MoMA in New York besitzen seine Werke, die „Fondation Giacometti“ stellte zuletzt das Werk „Tree of Life“ (Lebensbaum), das nun Besucher im Foyer der Wiener Secession begrüßt, den fragilen Figuren des berühmten Schweizers Alberto Giacometti gegenüber.
Die Spannung zwischen dem Beständigen und dem Zerbrechlichen ist Cherris Skulpturen oft eingeschrieben, manches mutet fragil an, der bevorzugte Werkstoff Lehm wirkt gleichermaßen archaisch wie bröselig. Auch die Frage nach dem Sinn und Zweck von Monumenten zieht sich durch viele Arbeiten des Künstlers, der im bürgerkriegsgebeutelten Beirut aufwuchs, aus der dortigen Kunstszene aber auch den „Glauben an die Vorstellungskraft als Quelle politischer Veränderung“ mit, wie es in einem Text zur Ausstellung heißt.
Als Assad ins All telefonierte
Für seine Imaginationen nutzt Cherri nicht nur aber nicht nur traditionell anmutende Materialien (der „Lebensbaum“ ist seine erste Arbeit in Bronze), er dreht auch Filme und gräbt in Archiven aller Art. Bereits 2011 schnitt in einer Installation zwei Videos zusammen: Zu sehen und zu hören war dort ein Telefongespräch zwischen dem syrischen Diktator Hafez Al-Assad, und dem syrischen Kosmonauten Muhammed Faris, der als Teil einer russischen Mission zur Raumstation „Mir“ reiste. Gegengeschnitten ist das Material mit Videodokumenten, die Zeigen, wie eine Statue Assads demontiert wird - um sie vor Attacken durch Demonstranten zu schützen. "Pipe Dreams" (übersetzbar mit "Fromme Wünsche") lautete der Titel der Arbeit. Als ein solcher Wunsch galt damals wohl auch der Regimesturz, den niemand für möglich hielt.
Heute ist Bashar Al-Assad, der Sohn des Diktators Hafez Al-Assad, abgesetzt - und Cherris Werk mutet fast wie ein Kommentar zum Tagesgeschehen an. In Wien ist sie allerdings nicht Teil der Schau: Diese kreist um die monumentale Figur einer Sphinx, die in der Galerie im Untergeschoß der Secession von zwei verglasten Schaukästen flankiert wird. Auch dieses Arrangement kreist um die Frage, was Bestand hat und was nicht.
Mini-Museum
Cherris Arrangement hat die Anmutung eines Mini-Museums, in den Vitrinen stehen Modelle von Sockeln, die zu realen Statuen gehören, die entweder bereits gestürzt wurden oder zumindest für Kontroversen sorgten: Die Statue eines Südstaatengenerals, die während der Black Lives Matter-Proteste 2020 in Richmond, Virginia, demontiert wurde, wird ebenso zitiert wie das Lueger-Denkmal in Wien.
„How I Am Monument“ (etwa: "Wie ich Monument bin") nutzt damit geschickt die Mittel des Musealen für einen zeitgenössischen Kommentar: In dem er den Dingen den Anstrich des Überzeitlichen verpasst, wird die Vergänglichkeit - von Monumenten, Systemen, Regimen, vielleicht aber auch von individuellen Menschenleben - nur noch offensichtlicher.
Weggespült
Ein Film, für den Cherri 2022 den Silbernen Löwen der Venedig Biennale erhielt, wirkt im hinteren Raum der Schau dann wie ein Echo zu solchen Gedanken: In langsamen Bildern zeigt Lehmproduzenten in einer Region im Sudan, deren Infrastruktur vor einigen Jahren durch einen Staudammbau buchstäblich weggespült wurde. Die Ziegelmacher im Film arbeiten aber weiter. Ihre Arbeit scheint sich seit Jahrhunderten nicht verändert zu haben.
Bis 23. 2. 2025