Kultur

Kabarettist Andreas Vitásek feiert seinen 60er

Herr Vitásek, Sie haben Ähnlichkeit mit einem Schauspieler.

Robert Mitchum.

Nein, ein Hollywoodstar der Jetzt-Zeit.

Schade, Mitchum hätte ich gerne gehabt.

Sind Sie mit Alec Baldwin auch zufrieden?

Absolut. Er ist zwar ein bisschen mollig um die Hüften, eh so wie ich, aber nein, das passt schon. Er ist ja ein super Schauspieler. Ich finde ihn ein bisschen männlicher als mich, vom – wie heißt das – Testosteronanteil her. Aber vom Gesicht und von den Bewegungen her passt’s.

Und Sie sind fast gleich alt wie Baldwin. Er ist 58, Sie werden am 1. Mai 60 Jahre alt. Wie geht’s Ihnen damit?

Naja, ich wollte da durchtauchen, aber nachdem der Tag nun doch medial thematisiert wird, bekommt es so den Touch einer wichtigen Zäsur. Beim 50er haben schon einige Leute gesagt: „Wirst sehen, das kann dich ganz schön hernehmen.“ Aber ich hab’ überhaupt nichts bemerkt. Der 60er hingegen geht schon Hand in Hand mit kleinen, körperlichen Beschwerden. Es zwickt ein bissl und da denk ich mir manchmal, ich hätte die zweite Partie Tennis doch nicht mehr spielen sollen.

Gestern Nacht hab’ ich mir wieder einmal „Müllers Büro“ angesehen. Sie waren damals 30. Denken Sie sich manchmal: Mein Gott, ist das lange her?

Es ist witzig, weil eher die anderen das Thema beschäftigt. Unlängst hat eine Frau zu mir g’sagt: „Herr Vitásek, entschuldigen Sie, dass ich Sie anrede, aber ich habe Sie damals in Klagenfurt bei der Woche der Begegnung gesehen.“ Das war in den frühen 80ern. Sie weiter: „Da waren’s so fesch und knackig. Immer, wenn ich Sie jetzt im Fernsehen sehe, denk’ ich mir: Mein Gott, sind wir alt geworden.“ Das ist schon eigenartig, von einem fremden Menschen so auf der Straße angesprochen zu werden.

An einem sensiblen Tag ist das blöd, ja.

Es war von der Dame sicher nicht böse gemeint, aber man schluckt halt doch. Die Leute merken das Altern ja nicht an sich selbst, sondern immer am anderen. Mir geht es genauso. Wenn ich einen Bekannten lange nicht gesehen habe, denke ich mir auch: „Oh Gott, ist der alt geworden!“ Sich selber sieht man ja meistens in der Früh im Spiegel, da fällt das nicht so auf. Aber ich fühle mich nicht wie 60, weil ich mich jünger denke.

Humor hält eben jung. Ich habe mich gestern Nacht intensiv mit Ihnen beschäftigt ...

Schade, dass mir das nicht aufgefallen ist. Ich kann mich leider nicht erinnern.

Da müsste unsere geistige Verbindung wohl stärker sein. Jedenfalls ist mir aufgefallen, wie gut es tut, zu lachen. Wissen Sie im Vorhinein, welche Ihrer Witze in einem Programm zünden werden?

Wenn Sie das Wort Witze verwenden, müssen Sie aufpassen, wenn Sie mit einem Kabarettisten sprechen.

Entschuldigen Sie bitte. Pointen.

Schon besser. Ich glaube, mein Kollege Niavarani hat einmal gesagt, Pointen sind besser bezahlt als Witze. Oder ist das von mir? Keine Ahnung.

Achten Sie also darauf, bei welchen Pointen das Publikum am meisten lacht?

Natürlich! Beim Spielen laufen bei mir mehrere Kameras gleichzeitig mit. Erstens beobachtet man sich selber dauernd. Bin ich gut oder schlecht drauf? Vorsicht, jetzt werde ich müde. Ui, jetzt habe ich mich versprochen ... Und dann gibt es die Kamera fürs Publikum. Ah, das haben’s heute kapiert! Jetzt verlier’ ich sie. Achtung, ich muss aggressiver rangehen. Oder: Jetzt sind’s mir fast zu lustig. Ich muss mich dann zurücknehmen, damit es nicht überhitzt. Da hat man einige Antenne auf Empfang.

Ohne Flexibilität geht also nichts.

Ich spiele mein jüngstes Programm „Sekundenschlaf“ jetzt das dritte Jahr und von der ursprünglichen Fassung ist nur die Grundstruktur geblieben. Sachen kommen dazu, andere weg. Politikernamen zum Beispiel haben eine enorm kurze Halbwertszeit. Der Stronach war immer ein guter Joke und ist mittlerweile kein echter Lacher mehr. Auch die Themen variieren. Asyl, Bankengeschichten und Panama-Papers sind brandaktuell, aber das kann sich schnell ändern.

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Sie haben mal gesagt, Ihr Kabarett ist immer so politisch, wie es Sie selbst betrifft.

Das stimmt. Insofern ist der Anteil an Tagespolitik im Programm im Moment prozentuell höher. Ich bemerke aber auch in privaten Runden, dass mehr politisiert wird. Ich weiß nicht, ob Sie diesen chinesischen Fluch kennen. Er heißt „Mögest du in interessanten Zeiten leben“. Das bedeutet immer Umstürze, Kriege und Revolutionen. Dass sich die Weltsituation in den letzten Jahren so dramatisch entwickeln wird, hätte ich nie geglaubt. Ich dachte immer, ich lebe in einer, sagen wir, angenehm langweiligen Zwischenkriegszeit. So kann man sich irren ...

Man sagt ja immer, früher war alles besser, auch, wenn man derzeit den Eindruck hat, dass das stimmt. Welche Zeit war denn die bisher beste Ihres Lebens?

Das ist wie bei den Jahreszeiten. Jede hat Vor- und Nachteile. Der Winter ist kalt, kann aber auch schön klar sein. Der Sommer wärmt, ist aber oft unerträglich heiß. Genauso ist es mit den Jahreszeiten des Lebens. Die meisten favorisieren den Frühling, die Jugend, weil sich so viel tut. Aber irgendwann geht man seinen Weg und es wird immer schwerer auszubrechen. Rückblickend würde ich meine Ausbildung in Paris als eine meiner besten Zeiten sehen. Aber da war ich Anfang 20. Alles war möglich. Die Welt stand weit offen vor mir.

Sie haben dort Schauspiel studiert. Hätten Sie das nicht auch in Wien machen können?

Wien war anders als jetzt und ist erst Mitte der 1980er-Jahre aufgewacht. Auch durch die Kulturpolitik von Helmut Zilk, der die Stadt wachgeküsst hat. Früher war Wien um elf Uhr abends tot. Es gab keine Kleinkunstlokale, ausgenommen vielleicht das Simpl. Die Arena–Bewegung war für viele Jugendliche eine wichtige Lektion in direkter Demokratie, aber prinzipiell wollt man als junger Mensch nicht in Wien leben. Paris hatte für mich das Flair von Henry Millers „Stille Tage in Clichy“. Ich wollte auch Bohémien werden, herumhängen und Rotwein trinken. Das habe ich zum Teil praktiziert und es hat sich überraschenderweise so gut angefühlt, wie ich erhoffe hatte.

Konnten Sie Französisch?

Überhaupt nicht, obwohl es Grundvoraussetzung für die Schauspielschule war. Ich habe in der Bewerbung einfach geschummelt. Tatsächlich habe ich am Anfang im Unterricht kein Wort verstanden und bin immer in der Nähe eines Schweizers gesessen, weil die ja drei Sprachen beherrschen. Aber wenn man in einer Stadt lebt und den Alltag mitmacht, geht es mit der Sprache erstaunlich schnell. Eines Tages ist mir die Metro vor der Nase davongefahren und ich habe mir „Merde!“ statt „Scheiße!“ gedacht. Da wusste ich, ich bin in Paris angekommen.

Ihr Vater war Schneider, Ihre Mutter Hausfrau. Wie konnten Sie sich den Aufenthalt überhaupt leisten?

Das war schwierig, weil ich keine Arbeitsgenehmigung hatte. Österreich war ja kein Mitglied der EG. Ich hatte auch keine Aufenthaltsgenehmigung und musste alle drei Monate ausreisen, um in der Legalität zu leben. Ich habe als Aktmodell in Volkshochschulen gearbeitet, wo Hausfrauen und Pensionisten Zeichen- und Bildhauerkurse besucht haben.

Hatten Sie gar keine Scheu?

Wenn man jung ist, ist man ja fesch und außerdem habe ich es als eine berufliche Aufgabe aufgefasst, quasi als Körpertraining. Lange stillzusitzen ist dabei gar nicht so einfach. Es gibt zwar sogenannte „Quick Poses“ für Skizzen, aber manche Sitzun-
gen konnten schon eine halbe Stunde oder noch länger dauern.

Warum sind Sie nach drei Jahren schließlich wieder zurück nach Wien?

Weil ich mich bei einem Kurzurlaub in die zukünftige Mutter meines ersten Kindes verliebt und in Folge neun Jahre mit ihr zusammengelebt habe. Ich habe dann, um die Miete bezahlen zu können, mein erstes Kabarettprogramm geschrieben.

War Ihnen bewusst, dass Sie ein Talent haben, Dinge so zu erzählen, dass man gerne zuhört?

Bewusst war es mir nicht, ich habe auch jetzt noch manchmal autistische Phasen, in denen ich mir jedes Wort abringen muss und lieber verstummen möchte. Da ist das Auftreten eine gute Notwendigkeit, sich zu äußern. Vielleicht sogar eine Art Therapie.

Haben Sie je ergründet, woher die ganz stillen Phasen kommen?

Ich war immer so. Ich bin als Einzelkind aufgewachsen und war ein Schlüsselkind, weil beide Eltern gearbeitet haben. Da sitzt man halt manchmal alleine in der Wohnung unter dem Tisch und beginnt, sich Sachen auszudenken. Man entwickelt Fantasie, um nicht einsam zu sein. Dann erfindet man verschiedene Personen und spricht mit ihnen. Mit etwas Glück wird ein Beruf daraus.

Ein nachdenklicher Kabarettist hat kein leichtes Leben. Die Öffentlichkeit erwartet, dass man immer gut drauf ist, oder?

Manchmal höre ich: „Herr Vitásek, Schauen S’ nicht so traurig.“ Aber ich kann ja nicht immer grinsen, wenn ich auf der Straße gehe. Oder: „Erzählen S’ an Witz!“ Ich habe einmal geantwortet, dass ich den Fleischhauer, wenn ich ihn privat treffe, auch nicht frage: „Ham S’ a Wurschtsemmerl für mich eing’steckt?“

Man muss sich halt denken, dass es die Leute nicht böse meinen.

Es ist eh nett gemeint. Ich kenne einen Kollegen, der nicht mehr U-Bahn fährt, weil er nicht angesprochen werden will. Versteh’ ich nicht. Gerade als Kabarettist muss man sich in die Welt hineinbewegen. Man muss U6 fahren, auch wenn das eine Reise durch die ganze Welt ist. Es ist die Realität, über die man Bescheid wissen muss.

Derzeit schauen die Leute sicher noch mehr auf Sie, weil „Müllers Büro“ vor kurzem 30-Jahr-Jubiläum gefeiert hat und medial besprochen wurde. Haben Sie je mit dem Riesen-Erfolg gerechnet?

Als ich aus Paris zurückgekommen bin, hat mich der Niki (Anm.: Regisseur Niki List), der mein bester Freund war, gefragt, ob ich in seinem Film „Malaria“ mitspielen will. Er hat dafür einen Preis bekommen und konnte von den Fördergeldern „Müllers Büro“ finanzieren. Er wollte mich wieder dabei haben, aber ich hätte um ein Haar abgesagt, weil ich zur selben Zeit das Angebot von Peter Hajek für die Serie „Mozart und Meisel“ hatte. Ich dachte ja, dass „Müllers Büro“ eh nie in die Kinos kommt. Dann hat Hajek zum Glück verschoben. Ich glaube, ich hätte mich sonst ein Leben lang geärgert. Aber so ist es. Man weiß nie, welche Entscheidungen einen Lebensweg bestimmen.

Nicht besser so?

Ja, aber es bleibt die Frage, ob es sowas wie Vorherbestimmung gibt. Würde ich auch hier sitzen, wenn ich in Paris geblieben wäre? Oder was wäre passiert, wenn ich in Salzburg am Mozarteum geblieben wäre?

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Wieso sind Sie weggegangen?

Ich habe die Stadt nicht ausgehalten, weil ich grad von der Arena-Besetzung in Wien gekommen bin. Da war Salzburg ein ziemliches Kontrastprogramm. Im Nachhinein habe ich mir schon manchmal gedacht, dass es ein Fehler war, dort aufzuhören. Es war eine gute Schule und ich wäre vielleicht den normalen Schauspielerweg gegangen. Aber vielleicht würde ich dann in Darmstadt am Stadttheater oder sonst wo sitzen und versumpern. Oder ich wäre ein großer Star und würde beim Tarantino mitspielen. Man weiß es nicht.

Sie haben einmal in einem Interview erzählt, dass Sie als Schauspieler kritischer beäugt wurden, als in Ihrem Stamm-Metier Kabarett. War das verletzend für Sie?

Es gibt einfach ein Schubladendenken und ich gebe zu, dass ich mich auch selbst dabei ertappe. Es ist leichter, zu kategorisieren, um einen besseren Überblick zu haben. Selbst, wenn man aus einer Schublade rausspringt, springt man in die nächste rein. Aber als ich in St. Gallen in der Schweiz die Goldberg-Variationen von Tabori inszeniert habe, hat mich dort niemand als Kabarettist gekannt und ich wurde als junger Regisseur positiv rezensiert. Das war eine angenehme Erfahrung.

Sie haben mittlerweile zwölf Kabarett-Programme gemacht. Als nächstes kommt das 13. Sind Sie abergläubisch?

Ja, auf eine milde, nicht paranoide Art. Für mich ist die 13 eine Glückszahl.

Hört man auch selten. Warum?

Weil ich es beschlossen habe. Ich habe mit 13 kaum schlechte Erfahrungen gehabt. Im Gegenteil, meistens ist was Gutes passiert.

Eigentlich wäre durch die Zahl das nächste Programm aufgelegt.

Ich könnte etwas über Phobien, Ängste und Zwänge machen Der Titel wäre: Aberglaube bringt Unglück.

Wie lange arbeiten Sie an einem Programm?

Ein halbes Jahr. Ich habe es auch schon kürzer probiert, aber das wurde dann nicht ganz fertig. Ich recherchiere drei Monate und arbeite dann drei Monate aus. Das Wichtigste ist eine Deadline zu haben. Sonst würde ich ewig an etwas arbeiten.

In vergangenen Programmen hat auch Ihr Hund, ein Mops, immer wieder eine Rolle gespielt. Warum hat ein großer Mann wie Sie einen kleinen Mops?

Hundemäßig bin ich vom Saulus zum Paulus geworden. Ich war überzeugter Hundverweigerer. Einen Hund in der Stadt zu halten fand ich unmöglich und mit meinem Beruf unvereinbar. Es war dann so, dass meine Frau eine Tochter mit in die Beziehung gebracht hat, die den Mops von ihrem Vater bekommen hat. Bei Kindern kann ein Tier schnell uninteressant werden. Dann hatte meine Frau den Mops. Als sie später unsere gemeinsame Tochter bekommen hat, ist der Mops zu mir gewandert. Daraus hat sich eine tolle Mensch-Hund-Beziehung entwickelt. Außerdem sind wir die einzigen Männer in dem Frauenhaushalt. Das schweißt zusammen.

Wie alt ist der Mops?

Er ist schon neun. Wir altern gemeinsam. Jetzt hat er mich zum ersten Mal überholt, früher war er jünger als ich. Ich bevorzuge ältere Hunde. Sie sind weniger anstrengend, wollen auch nicht so viel herumgehen. Ich werde ihm immer ähnlicher. Wuff.

Das sieht nach einem tierisch guten weiteren Leben aus. Planen Sie für die Zeit ab 60 etwas Besonderes?

Wenn ich etwas wirklich hätte machen wollen, wäre das schon passiert. Mit 60 mache ich keine Karrierepläne mehr, ich muss mir nix mehr beweisen und niemand mehr werden. Ich werde auch nicht mehr anfangen, Klavier zu spielen, aber ich würde gerne mehr mit Kollegen zusammenarbeiten. Alleine auf der Bühne zu stehen, ist schon eine sehr einsame Geschichte.

Heute sind wir zu zweit. Lassen Sie uns was versuchen. Schaffen Sie es, mich in 30 Sekunden zum Lachen zu bringen?

Ui, das ist schwierig in so kurzer Zeit. Ohne Kitzeln oder mit?

Hahaha!

Sehen Sie, jetzt haben Sie gelacht – nach fünf Sekunden. Aufgabe erledigt!

Andreas Vitásek, 59, wurde 1956 als Einzelkind in Wien-Favoriten geboren. Mit 22 ging er für drei Jahre in eine Theaterschule nach Paris. Zurück in Wien startete er 1981 mit "Spastic Slapstick“ als Kabarettist durch. Über seinen Jugendfreund, Regisseur Niki List, kam er zum Film und landete 1986 mit „Müllers Büro“ als Schauspieler einen Hit. Vitásek macht auch Theater und arbeitet als Regisseur. Seit 2013 spielt er sein jüngstes Programm „Sekundenschlaf“, für das er 2014 den österreichischen Kabarettpreis erhielt. Derzeit arbeitet er an einem Abend über Otto Grünmandl. Vitásek ist zum zweiten Mal verheiratet und hat drei Kinder von drei Frauen. Zum Thema Patchwork sagt er: „Man braucht logistische Fähigkeit haben, aber prinzipiell hat es Vorteile. Ich verstehe mich gut mit dem Exmann meiner Frau. Wir machen auch Urlaub miteinander.“

Next Stopps für Andreas Vitásek und sein Kabarett-Programm "Sekundenschlaf": 11. 5. Wien, Orpheum. 12. 5. Markt Allhau, Neue Mittelschule. 17. und 18. 5. Lustenau, Freudenhaus/Millennium Park. 24. 5. Linz, Posthof. Karten & Info: www.vitasek.at

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