Kultur

Julian Le Play: "Castingshows ziehen dich nackt aus"

Julian, auf dem Weg zur Toilette in deinem Stammlokal Heinz gibt es einen Kartenständer mit einer Postkarte und der zotigen Aufschrift „F..k 2016“. Neues Jahr, neues Glück – deshalb nur kurz: deine Bilanz für 2016.

Wenn man das Weltjahr anschaut, natürlich nicht gut, aber mein Jahr war gut. Mein Album „Zugvögel“ war für mich musikalisch ein großer Schritt, weil ich weg von der Akustikgitarre gegangen bin. Aber wenn ein Normalo das im Radio hört, wird er sagen, klingt eh gleich wie davor.

Offenbar lieben die Leute diesen Klang. Du bist 25, hast sieben Charthits in der Tasche und es drauf. Wie schreibt man einen Hit?

Sicher gibt es ein paar Sachen, die wichtig sind. Ich habe schon Songwriter-Seminare für junge Musiker gemacht und hatte keinen Plan, was ich denen erzählen soll. Ich habe es ja selbst nicht gelernt. Aber ich musste so tun, als hätte ich ein Konzept und habe nachgedacht.

Worauf bist du gekommen?

Ich bin überzeugt davon, dass jeder Charts-Hit ein Lebensgefühl trifft. Nehmen wir „Mein Anker“. Ich hatte das vorher nicht geplant, aber es geht darum, dass du den einen Menschen gefunden hast, der eben dein Anker ist. Oder „Brennen tuats guat“ von Hubert von Goisern. Das ist zu einer Zeit rausgekommen, als jeder wütend auf die Banker war. Wenn du nur Floskeln aneinanderreihst oder ein Lied zu verwaschen klingt, merken das die Leute.

Ich kenne jemanden, der bei deinem Lied „Mein Anker“ immer an eine Person gedacht hat, von der er dann später bitter enttäuscht wurde. Damit war das Lied für ihn leider negativ besetzt.

Oje, das kann passieren. Das ist die erste Geschichte, die ich höre, wo es nach hinten losgegangen ist. Aber es ist eben so. Leute hören ein Lied und verknüpfen es mit Menschen. Wenn der Mensch ein Trottel ist, färbt das aufs Lied ab. Versteh ich.

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Ich hab nachgelesen, dass Frédéric Le Play, nach dem du dich benannt hast, ein französischer Sozialtheoretiker war. Eine ungewöhnliche Namenswahl.

Um den Typen selber ging es gar nicht. Ich bin damals in einer Vorlesung gesessen und habe herumgetüftelt, wie ich mich nennen könnte. Plötzlich erschien über einem Beamer riesengroß der Name Le Play. Ich hab ihn also mit meinem Vornamen kombiniert und fand, dass es gar nicht so schlecht klang.

Hast du in diesem Moment beschlossen, das Studium ad acta zu legen?

Damals hatte ich echt Zweifel, ob ich Musik machen oder weiterstudieren soll. Jeder hat so seinen eigenen Film am Laufen und ich wollte, dass meiner spannend wird. Ich musste mir also einen Kick geben und aufhören zu studieren. Ich dachte, ich werde mein Leben nur cool finden, wenn ich jetzt aus dem Saal rausspaziere. Das war dann auch tatsächlich meine letzte Vorlesung.

Ich glaube, viele scheuen sich, Künstler zu werden, weil es keinen Fahrplan gibt. Zudem hattest du den Ruf eines Ex-Castingshow-Teilnehmers. Wie konntest du diesen Weg trotzdem so erfolgreich gehen?

Ich glaube, der Unterschied zwischen einem Casting-Teilnehmer und einem Künstler ist, etwas zu sagen zu haben oder sagen zu wollen. In einer Castingshow geht es vorwiegend darum, Leuten was vorzusingen und ihnen spannende Geschichten zu präsentieren. Deshalb gelingt es vielen Teilnehmern nicht, nachher eine Karriere als ernsthafter Künstler zu starten. Castingshows ziehen dich so nackt aus, dass man dich gar nicht mehr ernst nimmt.

Du warst damals 16. Hast du überhaupt so weit gedacht?

Es war mir schon bewusst und ich habe damals fast ein bissl zugemacht und wenig über mich gesagt. Ich wollte keine traurigen, privaten Geschichten erzählen, obwohl ich genauso meine Sachen erlebt hatte. Ich wollte nur singen. Deshalb hatte ich das Gefühl, dass ich fast ein bissl untergegangen bin und dass das doch nichts für mich ist. Das Künstlerdasein aber schon. Das eine schließt das andere nicht aus.

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Ich kann mich erinnern, dass du damals schon sehr erwachsen gewirkt hast. Heute bestätigt sich diese Erinnerung wieder. Woher kommt das?

Ich hatte schon als Kind immer mit älteren Leuten zu tun. Ich habe ja von klein auf im Kinderfernsehen moderiert. Da waren die Redakteure natürlich auch erwachsen und Erich Schleyer von der Büchersendung war auch erwachsen. Vielleicht kommt das daher.

Du warst mit 16 als Austauschschüler ein Jahr in Australien. Wie kamst du auf die Idee?

Eine Freundin meiner Schwester hat das gemacht und davon erzählt. Da habe ich zu meinen Eltern gesagt, dass ich das auch machen will. Australien hatte für mich immer eine magische Anziehungskraft. Das ist so ein abgeschotteter Inselkontinent, von dem man zwar schöne Bilder kennt, aber nichts hört.

Man sagt, dass man von jeder Reise etwas mitnimmt. Was hast du mitgebracht?

Ganz sicher Selbstvertrauen. Du kommst an eine fremde Highschool, die ganz andere Dimensionen hat als eine Schule in Österreich. An meiner Schule waren 2.500 Schüler zwischen 14 und 18 Jahren, eine klassische Highschool mit Schuluniform, Gangs und Cliquen. In meinem Jahrgang gab es zwölf Klassen und nicht drei wie bei uns. Es besteht die Gefahr, dass man in der Masse von Leuten untergeht. Da muss man sich schon irgendwie durchsetzen und sich was einfallen lassen, um Leute kennenzulernen.

Heute sitzen wir hier und du bist Julian Le Play, der es auch schon in Deutschland zu einem Namen gebracht hat. Warum gefällst du als Künstler den Leuten so gut?

Wenn es ein Rezept gibt, gehören halt ein paar Sachen dazu. Nur eine gute Stimme ist mittlerweile zu wenig. Ich glaube nicht, dass Leute wie Bilderbuch oder Wanda umsonst so erfolgreich sind. Der Sänger von Seiler und Speer ist sicher nicht der beste Sänger, aber das ist ein Typ. Aber eigentlich hast du ja gefragt, warum ich ...

Ja, eigentlich schon.

Ich glaube schon, dass es was mit der richtigen Zeit und dem richtigen Ort zu tun hat. Als ich 2012 angefangen habe, war das komischerweise ein Zeitpunkt, wo in Österreich niemand deutsche Texte gemacht hat. Es gab Christina Stürmer, aber einen Mann gab es nicht. Das war quasi mein Glück. Mittlerweile schaut das schon ganz anders aus.

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Auffällig ist, dass all diese Singer-Songwriter ihren richtigen Namen benutzen: Tim Bendzko, Philipp Poisel, Gregor Meyle. Nur du nicht.

Ja, lustig. Warum das für mich ausgeschlossen war, als Julian Heidrich aufzutreten, hat – denke ich – schon damit zu tun, dass ich mit der Castingshow-Geschichte abschließen wollte. Als Julian Heidrich war ich der Ausprobierer, der sich alles anschauen wollte und noch nicht gewusst hat, was er machen will. Dann habe ich meinen Musikstil gefunden. Es war mir wichtig, mich mit dem Künstlernamen abzugrenzen.

Als ich dich zum ersten Mal im Radio gehört habe, dachte ich, da singt Xavier Naidoo. Stören dich solche Vergleiche?

Für mich ist der Naidoo wirklich der allerbeste unter den deutschsingenden Künstlern. Da kann sich jeder, der sonst so unterwegs ist, was abschneiden. Aber ein großer Unterschied zwischen ihm und mir ist, dass bei mir Religion überhaupt keine Rolle spielt, während man bei ihm fast jeden Song auf Religion beziehen kann. Meistens lässt er es ja offen.

Er ist im vergangenen Jahr ordentlich in Kritik geraten. Hast du das verfolgt?

Ja, er sagt halt, dass Deutschland quasi kein anerkannter, freier Staat ist, sondern indirekt immer noch besetzt von den Amerikanern ist. Es gibt Leute, die das als Verschwörungstheorie sehen. Er hat darüber auf einigen Veranstaltungen gesprochen, wo auch Rechtsextreme waren. Das hat ihm echt geschadet.

Du spielst in diesem Jahr als Vorband der Söhne Mannheims. Hast du nie überlegt, wegen der Aufregungen darauf zu verzichten?

Alle, die ihn kennen - und ich kenne ihn nicht - sagen, er hat zwei, drei Sachen zur falschen Zeit am falschen Ort gesagt. Er macht sich halt viele Gedanken und es wurde ein Satz von den Medien herausgeklaubt. Das ist es.

Ich dachte ja immer, man lernt die Musiker kennen, deren Vorband man ist.

Ich denke schon, aber es kommt ganz drauf an, wie offen eine Gruppe ist. 2016 waren wir mit Revolverheld unterwegs und habe mit ihnen im Nightliner geschlafen. Das sind mittlerweile richtige Freunde geworden.

Wie kommt man eigentlich für bestimmte Auftritte ins Gespräch?

Bei Revolverheld war es pures Glück. Ich bin in Düsseldorf in einer Bar aufs Klo gegangen, als 2014 plötzlich Johannes Strate neben mir stand (Anm.: Sänger und Frontman der deutschen Band Revolverheld). Ich hatte grad mein zweites Album draußen. Damals war ich mit meiner Band auf Tour und wir haben noch die kleinen Läden bespielt. Wir kamen dann mit Strate ins Gespräch und haben ihn zu einem unserer Auftritte in seiner Heimatstadt Hamburg eingeladen. Er kam mit seiner Freundin, seiner Band und seinem Manager Sascha, der jetzt auch mein Manager ist. Ihnen hat gefallen, was wir gemacht haben, und sie haben uns später auf ihre ganze Tour mitgenommen.

Als junges Mädchen, also quasi gestern, habe ich mir gewünscht, einmal bei einem Konzert von einem Sänger entdeckt und auf die Bühne geholt zu werden. Nimmt man denn das Publikum überhaupt wahr?

Ja, sehr oft sogar. Ich erkenne sogar Leute wieder, die schon mal auf meinen Konzerten waren. Ich suche mir im Publikum auch immer gewisse Ankerpunkte, wo ich besonders oft hinschaue. Einfach, weil ich das Gefühl habe, die nehmen auf, was ich singe. Aber wenn ich das Gefühl habe, Leute quatschen, schau ich natürlich nicht so oft hin.

Wann schreibst du eigentlich den nächsten Hit?

Ich habe jetzt seit einem Jahr kein Lied mehr geschrieben.

Ist das die notwendige Regenerationszeit für neue Ideen, oder hast du schon Entzugserscheinungen?

Momentan habe ich noch keine Entzugserscheinungen. Ich habe in meinem Song „Zugvögel“ den Nordwind als Symbol eingebaut. „Der Nordwind will mich in ein neues Morgen zieh'n. Er treibt mich in ein neues Land. Hier fang' ich von vorne an.“ Das ist für mich ein melancholischer Wind, der sich immer mal wieder meldet. Und der hat sich seit einem Jahr nicht gemeldet. Manchmal kommen diese Schreibphasen, und wenn sie nicht da sind, bringt es nichts, sich hinzusetzen. Ich spür dann schon, wenn es in mir kribbelt, dann setze ich mich hin. Es kann aber auch sein, dass der Nordwind nie mehr wieder kommt.

Und dann?

Weiß ich nicht. Dann mache ich vielleicht andere Musik. Vielleicht brauche ich den Nordwind nur für die Musik, die ich jetzt mache, und für eine andere nicht. Ich warte jetzt einfach mal.

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Die Melancholie gehört also zum Songschreiben dazu.

Wenn man so möchte, ist jede Emotion eine Art von Energie oder Reibung. Man muss das nur in die richtige Richtung lenken, und das kann man beim Songschreiben einfach machen. Im besten Fall schreibst du dir was von der Seele, es ist auf dem Blatt und damit weg. Du lässt es los und schickst es raus wie einen Papierflieger.

Das klingt nach einer sehr schönen Metapher für ein Lied über das Loslassen.

Vielleicht. Ich mach das mit dem Niederschreiben aber nie sofort, weil ich eigentlich ein extrem verschlossener Typ bin. Ich rede kaum über meine Emotionen und schlucke sehr viel runter. Aber in den Schreibphasen kommt alles raus.

Wie geht es 2017 mit dir weiter?

2017 wird für mich wieder ein Musikschreibjahr. Das geht nicht, wenn man 150 Konzerte spielt. Ich möchte mich ein paar Monate ausklinken. Das klingt nach Luxus, aber in der Zeit möchte ich ja was machen. Schreiben und mir was einfallen lassen.

Und dein Vorsatz für das neue Jahr?

Alles ein bisschen entspannter angehen. Ich habe mich im Bezug auf Arbeit manchmal ein bisschen zu wichtig genommen.

Julian Heidrich, 25, wurde 1991 in Wien geboren. Seine Show-Karriere startete er bereits in jungen Jahren als Teilnehmer beim „Kiddy-Contest“. Einige Jahre später war er Co-Moderator der Kindershow „Close Up“. 2010 nahm Heidrich, der ein Jahr in Australien zur Schule ging, an der Casting-Show „Helden von morgen“ teil und belegte den 7. Platz. Zwei Jahre später schaffte er den Sprung in die Charts. Seine Single „Mr. Spielberg“ von seinem ersten Album „Soweit Sonar“ wurde zu einem der meistgespielten Hits 2012. Ein Jahr später erhielt er den „Amadeus“ in der Kategorie Rock/Pop. 2016 brachte Julian Le Play sein bereits drittes Album „Zugvögel“ heraus. Insgesamt hat der Sänger bisher sieben Chart-Hits gelandet. 2017 geht er auf Club-Tour in Österreich und ist – nach der Band „Revolverheld“ im vergangenen Jahr – ab Mai mit den Söhnen Mannheims in Deutschland unterwegs. Danach will sich Le Play zurückziehen und neue Lieder schreiben. Der Sänger hat eine Freundin und gibt nicht gerne Privates preis – „außer in meinen Liedern“.