Die Sehnsucht nach der Liebe könnte die Erfüllung sein
Von Peter Pisa
In seinem Tagebuch fasste Joseph Zoderer "Dauerhaftes Morgenrot" wie folgt zusammen:
"Einsamkeit = Sehnsucht nach Sehnsucht."
Schauen wir einmal ... Lukas, der Held, wurde von seiner Frau dazu aufgefordert, sich Auszeit zu nehmen, vor allem von ihr, Livia.
Wird schon zurückkommen, denkt sie. Da könnte sie recht haben.
Lukas stammt aus einer Gegend mit viel Wald, vielleicht aus Südtirol. Jetzt ist er in einer "Stadt am Meer", es wird wohl Triest sein. Dort hat er zwar eine Freundin, Johanna, aber es sieht nicht danach aus, als suche er sie – Lukas hat lieber "Sehnsucht nach Sehnsucht".
Ist lieber einsam.
Ist denn die Sehnsucht selbst die Erfüllung?
"Dauerhaftes Morgenrot" war eine schwere Geburt. Joseph Zoderer schrieb und komponierte Jahre daran, allein schon den Titel zu finden, gestaltete sich schwierig.
Lieber Morgenröte statt Morgenrot? Oder doch besser "Die Stille des Wassers unter dem Eis"?
Oder "Selbstfindung"? "Hundesohn"? "Schirokko"?
Wie Schwimmen
Aus den Schachteln im Archiv der Innsbrucker Universität ("Brenner-Archiv") mit Zoderers Tagebüchern, Notizen ... geht hervor:
"Die Walsche" (1982) überholte beim Schreiben gewissermaßen Lukas’ Krise – die Romanfigur Olga, die zwischen Südtirol und Italien und nirgendwo steht.
Olgas Entfremdungen machte n den gebürtigen Meraner Zoderer berühmt.
Sein Lukas irrt erst ab 1987 ohne Gepäck im Buch durchs herbstliche Triest – und läuft einer Frau namens Gianna nach. In ihr glaubt er Johanna zu erkennen. Hat er einst in Johanna Livia erkannt?
So kompliziert sind wir.
Man könnte sagen: Lukas erfindet seine Liebe immer wieder neu. Egal, wie sie heißt. Und er weiß, er kann auch jederzeit eine Möglichkeit erfinden, wie er sie vergisst.Wie sie stirbt.
Ist Lieben nur möglich, wenn das Wünschen nie aufhört? Das könnte bodenlos und gefährlich werden – wie das Schwimmen aufs offene Meer hinaus.
"Dauerhaftes Morgenrot" ist ja kein handlungsreicher Roman. Zoderer stellt Fragen, die nie unaktuell werden. Er fragt in Bildern. Das kann er. (Nein, antworten wird er nicht.)
Hühnerhaut
Der Autor ist bei seiner Sprachbeherrschung in der Lage, diese Bilder mit Farben und Gefühlen zu versehen; undsogar mit Geruch – das muss nicht unbedingt der beste sein:
Ein süßliches Parfüm lässt Zoderer auf die Seite 89 tröpfeln, indem es "an abgesengte Hühnerhaut, an ein überbrühtes, geköpftes Huhn" erinnert.
Mit seinem Lieblingsroman startet der Innsbrucker Haymon Verlag die 15-bändige Werkausgabe zur Neu- oder Wiederentdeckung. Band zwei, im Herbst, ist "Das Schildkrötenfest" aus 1995.
Eine Geschichte über ... die Sehnsucht, sich auszukennen, ob es Liebe ist oder was. Denn bei der ersten Begegnung spürt "er" nichts, und dann ist "sie" verschwunden", und "er" ist ganz deppert deshalb; unpoetisch gesprochen.
KURIER-Wertung: