Kultur

Der missglückte amerikanische Versuch, Karl Kraus besser zu verstehen

Das Kraus-Projekt" ist leider kein neuer Roman des US-Amerikaners Jonathan Franzen (weltberühmt seit seiner Familiengeschichte "Die Korrekturen" ).

Es ist nicht einmal ein Essay geworden.

Es sind bloß Fußnoten, um den sprachmächtigen Realsatiriker Karl Kraus (1874–1936) erstens verständlich zu machen und ihn zweitens direkt in die Gegenwart zu holen.

Würde Kraus das Internet verwenden? Na klar. "Die Fackel" wäre sein Blog.

Würde er twittern? Nein, twittern sei zu blöd (Jonathan Franzen ist entsetzt, dass Kollege Salman Rushdie twittert).

Funkenlos

Seltsam ist das, denn normalerweise kann der heute 55-Jährige begeistern. Über seine Werbung für die Bücher Alice Munros und David Foster Wallace’ freuten sich die Händler sehr.

Franzens Leidenschaft ist ansteckend. Auch die Maskenruderente war ihm eine Erzählung wert.

Er mag Vögel, weil sie nie zaudern. Sie tun einfach.

Im "Kraus-Projekt" aber springt kein Funken über.

’s ist auch schwer möglich, wenn oben auf den Seiten ein paar fett gedruckte Zeilen von Karl Kraus über Heine bzw. Nestroy stehen – und darunter, gierig nach Platz greifend, die Kommentare von Franzen, der Unterstützung hat:

Paul Reitter (Professor am German Department der Ohio State University) und Schriftsteller Daniel Kehlmann wollen ebenfalls zu Wort kommen.

Ein Beispiel: Vier Zeilen Kraus auf Seite 23 enden brutal mit "... verleugnet sich das Heinesche Mo-"

Darauf folgen aktuelle Ausführungen über uncoole Solidität, über Joachim Löw und Apple sowie über die Wiener Werkstätten.

Erst auf Seite 26 darf Kraus ausreden:

"... -dell nicht."

Tut das gut? Wem macht es Freude?

Oder jene Passage: Karl Kraus erlaubte sich, das Wort Humanität zu verwenden. Nicht Menschlichkeit.

Kehlmann vermutet, das sei eine Anspielung auf Nietzsches "Oh Voltaire! Oh Humanität! Oh Blödsinn!"

Reitter merkt an, es klinge Grillparzer durch ("von Humanität durch Nationalität zur Bestialität"),

Franzen bringt Goethes "Zauberlehrling" ins Spiel

Und Karl Kraus ist inzwischen uninteressant, ist tot, ist zum wiederholten Male gestorben.

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Im "Kraus-Projekt" bleibt nicht viel übrig, worüber es sich zu reden lohnt. Als das Buch in den USA erschien, diskutierte man halt über Franzens "Analyse", wonach Wien um 1910 dem heutigen Amerika ähnlich sei. Ein Schwächeln in Richtung Katastrophe. Aha.

Die seltene Maskenruderente, die Franzen vor zehn Jahren in Texas beobachtete, war vielleicht bloß ein Schwarzkopfweibchen.

KURIER-Wertung:

INFO: Jonathan Franzen: „Das Kraus-Projekt“ Übersetzt von Bettina Abarbanell. Rowohlt Verlag. 304 Seiten. 20,60 Euro.