Kultur

Bach hat das Grammatik-Buch der Musik geschrieben

Solo-Alben mag Nicolas Godin, eine Hälfte der französischen Electronic-Band Air, eigentlich nicht: "Bands haben eine Chemie – einen Sound, der aus dem Zusammenwirken entsteht", erklärt er im KURIER-Interview. "Wenn man das durchbricht, ist einer alleine oft nicht so gut."

Trotzdem hat Godin jetzt sein Solo "Contrepoint" – Bearbeitung von Werken von Bach – veröffentlicht. Das ergab sich aus einer Frustration auf der jüngsten Air-Tour: "Wenn man so lange in der selben Konstellation zusammenarbeitet, entwickelt man sich nicht weiter. Ich liebe die Auftritte. Das sind aber nur eineinhalb Stunden am Tag. Den Rest der Zeit bist du in Flugzeugen oder Hotels. Ich hatte das Gefühl, damit meine Zeit zu vergeuden." Dazu kam, dass er eine DVD mit einer Dokumentation über Glenn Gould sah und begeistert davon war, wie der Pianist die Werke von Bach auf seine ganz persönliche Art interpretiert. "Ich dachte, das will ich auch: Etwas Neues lernen, wieder wie als Kind in der Musik Überraschendes entdecken!"

Fantasie

Ohne Plan für ein Album, nahm Godin deshalb Stunden bei dem Klavierlehrer seiner Kinder. "Das klingt für einen erfolgreichen Musiker erstmal eigenartig. Aber der Erfolg kommt eigentlich von den Begrenzungen meiner Fähigkeiten als Musiker. Denn die habe ich mit Fantasie und Tricks ausgeglichen. Das Risiko beim Studieren von Musik ist natürlich, dass du ein besserer Musiker wirst, aber vielleicht auch weniger kreativer Künstler ."

Darüber hätte sich Godin keine Sorgen machen müssen. "Contrepoint" mangelt es nicht an Fantasie. In "Orca" mischt Godin eine Staccato-Gitarre und elektronische Schnipsel in das Orgelstück "Präludium und Fuge in C-Dur". Für "Club Nine" legte er den 5/4-Takt von Dave Brubecks Jazz-Klassiker "Take Five" über Bachs "Präludium in C-Moll". Dazwischen mischen sich Bossa Nova und natürlich von Air Bekanntes in die klassische Basis.

Der Grund, dass "Contrepoint" vorwiegend auf Bachs Präludien-Sammlung "Das wohltemperierte Klavier" beruht, liegt darin, dass Godin zunächst nur etwas mehr über Musik lernen und seine Technik am Klavier verbessern wollte. Erst später probierte er aus "wie das mit modernen Sounds klingt".

"‚Das wohltemperierte Klavier‘ wollte ich studieren, weil Bach damit das Grammatikbuch der Musik geschrieben hat", sagt der 45-Jährige. "Es zeigt alle Möglichkeiten, die man mit unseren Noten und Tonleitern hat. Sogar für die Popmusik. Alles, was man heute im Radio hört, kann man darauf zurückführen."