Kultur

Auf die Bühne statt in die Kirche

Schon 2012 hat Depeche-Mode-Sänger Dave Gahan mit Rich Machin und dessen Soulsavers das Album "The Light The Dead See" aufgenommen. Heute, Freitag, erscheint seine zweite Kollaboration mit Machin: "Angels & Ghosts" heißt das tief unter die Haut gehende, weitgehend ohne Elektronik produzierte Album – weil Gahan damit seinen Engeln und seinen Dämonen näher kommt.

KURIER: Warum haben Sie die Soulsavers 2012 als Lebensretter bezeichnet?

Dave Gahan: Weil das Angebot von Rich, mit ihm Songs zu schreiben, genau zum richtigen Zeitpunkt kam. Soulsavers waren im Vorprogramm von Depeche unterwegs. Dabei sprach ich mit Rich darüber, dass mir immer Stimmungen von Gitarre- oder Klavier-Riffs den Impuls zum Songschreiben geben. Deshalb hat er mir später Ideen-Schnipsel geschickt. Die fand ich sofort super inspirierend. Das Tolle an der Arbeit mit ihm war, dass es im Gegensatz zu Depeche – wo jeder seine Rolle hat, es Erwartungen und Deadlines gibt – keine Regeln und keinen Druck gab. So war es auch jetzt.

Wie schlägt sich diese Freiheit in den Songs nieder?

Bei mir beginnt ein Song meistens mit einem Wort. Dazu forme ich eine Melodie, was schon ein Prozess ist, bei dem ich mit mir ringe. Aber es beginnt sehr abstrakt. Und erst wenn ein Song fertig ist, merke ich, wie sich das, was in meinem Unterbewusstsein vorgeht, darin ausdrückt.

Was ging in Ihrem Unterbewusstsein bei "Lately" vor? Das klingt wie das Resümee einer verstorbenen Person.

Na ja, wir alle sterben langsam ... ha ha ha. Aber ja, das ist schon sehr nachdenklich. Da geht es um Erinnerungen an all meine Engel und Dämonen – sowohl aus der Vergangenheit als auch aus meiner Gegenwart, seien es Personen, Orte oder Vorfälle. Aber ich verbinde das schon mit Hoffnung. Zwar nicht im Text, aber in einer aufbauenden Melodie.

Bei "One Thing" – und auch einigen anderen Songs – geht es aber nicht nur um Sie, sondern um den Zustand der Welt.

Das kann ich natürlich nicht ausblenden. Ich kann sehr wütend auf mich werden, weil ich unfähig bin, zu den Lösungen beizutragen. Diese Spaltung der Welt aufgrund der Tatsache, zu welchem Gott wir beten – für mich ist das grotesk. Ich kann einfach nicht verstehen, wie intelligente Menschen sich mehr und mehr abgrenzen wollen. Aber das ist eine Generationen-Sache. Meine Kinder haben positivere Perspektiven darauf, wie sie die Welt ändern wollen. In "One Thing" geht es aber schon auch darum, dass ich mich oft unfähig fühle, Liebe zu empfangen und Liebe zu geben.

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Woher, glauben Sie, kommt das?

Von meiner Selbstverachtung, denke ich. Das ist zwar schon viel besser geworden. Es war schlimmer, als ich jung war. Jetzt kann ich auch mal darüber lachen. Aber ich kann es auf jeden Fall akzeptieren und es in etwas Kreatives verwandeln, was wunderbar ist. Es hilft sehr, das in Worte und in Songs fassen zu können. Aber ich fühle mich auch nicht immer von der Liebe abgeschnitten. Manchmal fühle ich mich total mit der Welt verbunden.

Wenn Sie mit Depeche Mode auf der Bühne stehen und Zigtausende mit Ihnen singen?

Absolut richtig, das sind genau die Momente, die ich meine. Ich gehe nicht in die Kirche und glaube nicht an einen Gott. Ich glaube an eine höhere Macht, man könnte es ein höheres Bewusstsein nennen. Aber für mich sind diese Momente meine Kirche. Den Song "Shine" habe ich über dieses wunderbare Depeche-Konzert vor zwei Jahren in Berlin geschrieben – über dieses herrliche Gefühl von Gemeinschaft, diese Sicherheit, die es einem gibt, Teil eines Ganzen zu sein.

Apropos Depeche Mode: Warum verstehen Sie sich mit Martin Gore jetzt besser denn je?

Sicher, weil wir dazwischen auch an Projekten außerhalb von Depeche arbeiten. Und weil wir jetzt beide Songs für die Band schreiben, gemeinsam ins Studio gehen und dabei auch mit sehr interessanten Leuten zusammen arbeiten. Wie etwa mit Ben Hillier für "Delta Machine".

Stimmt es, dass Depeche Mode im Dezember ins Studio gehen?

Nein, da werde ich Martin in Santa Barbara besuchen und wir werden besprechen, wie wir es angehen: Mit wem und in welchem Zeitrahmen wir aufnehmen wollen, ob wir auf Tour gehen. Wie gesagt, mit Depeche Mode ist das immer ein immenser Prozess.

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