Kultur

Interview: Lionel Richie stürmt die Charts

In den USA hat Lionel Richie mit seinem Album "Tuskegee" Madonna von der Spitze der Hitparade verdrängt. Doch bevor er beim KURIER-Interview drüber reden will, muss erst einmal von Wien schwärmen.

Lionel Richie: Hallo Brigitte in Wien! Ich könnte das den ganzen Tag sagen, ich habe so großartige Erinnerungen an Wien.
KURIER: Welche denn?

Das Essen, die wundervolle Kultur, die Musik. Ich finde, ihr sitzt im Zentrum der Musik-Kultur mit eurer Oper. Ich bin im Hause meiner Großmutter mit klassischer Musik aufgewachsen. Und immer wenn ich in Wien bin und aus meinem Hotelzimmer auf die Oper schaue, denke ich: „Wie toll ist das denn?“

Waren Sie auch schon in der Oper ?
Zwei Mal hatte ich Zeit dafür. Und einmal hatte ich eine zweistündige Führung, das ist sieben oder acht Jahre her. Aber ich war begeistert: Diese Kultur, diese Geschichte – und alles so gut erhalten. Wenn mich die Leute hier in Kalifornien fragen, warum ich immer so aufgeregt werde, wenn ich nach Österreich fahren kann, sage ich, weil die dort alles haben, was wunderbar ist.

Ihr neues Album "Tuskegee" ist eine Sammlung Ihrer Hits, die Sie als Duette mit vorwiegend Country-Künstlern neu aufgenommen haben. Wie haben Sie die Songs dafür ausgesucht?
Ich bin in Tuskegee in Alabama mit Country-Musik aufgewachsen. Und alle diese Songs habe ich dort mit den Commodores geschrieben. Sie waren danach als Pop, als R’n’B und auch in klassischen Versionen zu hören. Und ich dachte, es wäre interessant, zum Beispiel „Say You, Say Me“ einmal mit einer Steel-Guitar anstatt mit Streichern zu hören. Das haben noch nicht viele Künstler gemacht.

In den vergangenen Jahren gab es mit dem Erfolg von Bands wie Lambchop, Calexico und Wilco ein Revival der Country-Sounds in der Alternative Szene. Auch Indie-Folk-Bands wie die Fleet Foxes und Conor Obersts Bright Eyes haben sich davon beeinflusst gezeigt. Hat die Entwicklung, dass sich plötzlich auch wieder junge Leute dafür interessieren, auch eine Rolle bei der Entscheidung für ein Country-Album gespielt?
Alles entwickelt sich in Zyklen. Rock ’n’ Roll kam vom Rhythm & Blues. Sie haben den Blues-Sängern und den R’n’B-Sängern zugehört und wuchtige Gitarren darunter gelegt. So hat man R’n’B kopiert und weiterentwickelt. Und als das ausgereizt war, es aus dem R’nB’ nichts mehr zu kopieren gab, haben sie sich Folk und Country zugewandt und darauf eine Indie-Strömung aufgebaut. Davon bin ich mit meinem Album aber schon etwas entfernt. Es ist Country, wie ich diesen Stil damals in Tuskegee gehört habe.

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Wie haben Sie die Duettpartner ausgewählt? Einige sind sehr berühmt, andere Newcomer.
Willie Nelson musste ich haben. Das ist zwar eine offensichtliche Wahl, aber der bringt einfach Magie rein, wenn er nur den Mund aufmacht. Er hat „Easy“ auf ein ganz anderes Level gehoben, meinen Song gesegnet. Shania Twain hat – bevor sie „Endless Love“ für mich gesungen hat – sieben Jahre weder aufgenommen noch auf einer Bühne gestanden. Ich bin froh, wenn ich ihr Comeback einläuten kann. Und dann habe ich junge Talente wie Rascal Flatts und Kenny Chesney. Das sind Leute, die kamen und sagten, warte mal, meine Generation liebt deine Songs genauso wie die davor. Ich finde es schön, dass ich ihnen ein Forum geben kann. Und gleichzeitig . . . das sind die Leute der Zukunft. Und wenn ich Leute der Zukunft in meine Welt zurück holen kann, bringt auch mich das als Songwriter ein Stück weit in die Zukunft.

Sie sind der Schirmherr der Gesellschaft zur Bekämpfung von Brustkrebs. Wie kamen Sie dazu?
Meine Großmutter ist dafür verantwortlich. Mit 75 bekam sie Brustkrebs. Und das in einer Zeit, in der man all die Technologien und Behandlungsmethoden von heute noch nicht hatte. Ihr wurde die Brust abgenommen – Gott sei Dank, weil das hat ihr das Leben gerettet, sie ist 103 Jahre alt geworden. Ich habe sie also den Brustkrebs besiegen gesehen. Ich habe aber auch gesehen, wie sehr sie darunter gelitten hat, mit der Amputation ihre Figur und ihre Würde als Frau und Mensch verloren zu haben. Denn damals hatte man noch nicht die Möglichkeit, die Brust wieder aufzubauen.

Sie haben den Song "We Are The World", den Sie 1985 zusammen mit Michael Jackson für das "USA for Africa"-Benefiz-Album geschrieben haben, 2010 für die Opfer der Erdbebenkatastrophe in Haiti neu aufgenommen. Wie war das für Sie, für diesen Song ohne Michael im Studio zu stehen?
Oh mein Gott, das ist die beste Frage, die mir je gestellt wurde. Denn ich muss sagen, es war unendlich traurig für mich. Ich bin an eine Welt ohne Michael einfach noch nicht gewöhnt.

Auch nach all den Jahren immer noch nicht?
Nein, denn die Welt kannte ihn nur als Michael Jackson den Superstar. Ich aber kannte ihn als einen liebenswerten, offenherzigen, großzügigen und wenn ich das so sagen darf, albernen Typen. Und ich denke, ich darf das so sagen, weil wir uns so nahe gestanden haben. Oh mein Gott, er hat einfach immer herumgeblödelt. Und wenn man Sorgenfalten auf seiner Stirn gesehen hat, dann nur, weil er irgendwie nicht in diese Welt gepasst hat. Ich sage immer, er war ein Engel, der auf die Erde gefallen ist und nie ganz herausgefunden hat, war er hier tun soll. Von Kindheit an hat er nie irgendetwas Normales gehabt – keine Chance, normal aufzuwachsen, keine Chance, Dinge normal zu erfahren, bevor er berühmt geworden ist. Ich habe gesehen, wie er sich von Kindesbeinen an damit abgequält hat. Er wurde aus seinem Leben einfach nicht schlau.

War es dann eine Genugtuung für Sie, als Dr. Murray verurteilt wurde?
So sehr ich Dr. Murray gerne die Schuld geben würde, muss ich auch sagen, er war nur ein Teil dieser ganzen Tragödie. Michael hätte dringend auf Entzug gehen müssen. Aber er hat einen Arzt gefunden, der das gemacht hatte, was er wollte. Und wenn das nicht Dr. Murray gewesen wäre, wäre es ein anderer gewesen. Ich habe mich an diesem Tag nur traurig gefühlt, denn auch wenn Dr. Murray ins Gefängnis geht, das bringt Michael nicht zurück. Wir haben so zwei Menschen verloren. Und ich einen meiner besten Freunde.

In Haiti gibt es nach wie vor Chaos und viel Arbeit für die Hilfsorganisationen. Waren Sie selbst dort?
Nein, dort war ich nicht. Aber ich weiß, dass es immer noch an allem fehlt. Teilweise liegt noch der Schutt in den Straßen, daneben werden neue Häuser hochgezogen. Die Menschen brauchen nach wie vor Nahrung und Medizin, weil ihre gesamte Infrastruktur zerstört wurde und nach wie vor nicht intakt ist. Damals wurde sehr viel gespendet und deshalb denken alle, es ist geschafft. Aber das Geld von damals war nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, die Hilfe muss unbedingt weiter gehen.

Speziell, weil Haiti vorher schon ein armes Land war.
Genau richtig. Wissen Sie, mit all den Erbeben, Überschwemmungen und Tsunamis – wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, die Erde fällt auseinander. Und was ich für besonders tragisch erachte, ist, dass es immer die ärmsten Länder und Regionen zuerst zu treffen scheint. Und dort, in derartigem Engagement, liegt der Job für uns, die wir in der Öffentlichkeit stehen: Den Menschen, die keinen Stimme und kein Gesicht haben, Stimme und Gesicht zu geben. Deshalb nütze ich meinen Celebrity-Status kalt aus. Immer noch bemühe ich mich, jeden Tag jemanden auf Haiti aufmerksam zu machen, dafür zu sensibilisieren, dass dort längst noch nicht alles in Ordnung ist. Denn dafür sind wir doch eigentlich da: Dass wir uns um unsere Mitmenschen kümmern.