Kultur

"Integration ist nur mehr ein Wort, das nichts bedeutet"

Im Herbst 2015 entwickelte die Regisseurin und Autorin Yael Ronen, 1976 in Jerusalem geboren, zusammen mit Schauspielern des Volkstheaters die Komödie "Lost and Found". Die Handlung basierte auf realen Begebenheiten: Eine Gruppe junger Menschen rund um die Geschwister Maryam und Elias wird plötzlich, mit dem Eintreffen eines entfernten Cousins aus dem Irak, mit der Flüchtlingsproblematik konfrontiert.

Nun, am 11. Februar, folgt das Sequel. Gemeinsam "mit ihrem beweglichen Familiengefüge" haben sich Maryam und Elias, so die Ankündigung, in der Wohnung ihres verstorbenen Vaters gut eingerichtet: "Den Kindern geht es gut, neue Liebesbeziehungen sind entstanden. Österreich rückt nach rechts und Yousif bekommt einen negativen Asylbescheid. Nach zwei Jahren des Zusammenwachsens bricht die Wirklichkeit erneut ins Wohnzimmer ein, und die Vollintegrierten nehmen die Herausforderung gemeinsam an."

Die Rolle der Maryam spielt erneut Birgit Stöger. Die Grazerin, geboren 1975, war von 1999 bis 2004 unter der Intendanz von Anna Badora am Düsseldorfer Schauspielhaus engagiert. 2004 wechselte sie ans Theater am Neumarkt Zürich, 2010 holte Badora sie ans Schauspielhaus Graz. Und im Herbst 2015 wechselte Stöger gemeinsam mit Badora ans Wiener Volkstheater.

KURIER: In "Lost and Found" geht es um die Ankunft des Flüchtlings Yousif. Sie kannten ihn schon vor Probenbeginn?

Birgit Stöger: Ja, seit seinen ersten Tagen in Wien – über meine Kollegin Seyneb Saleh. Sie ist nicht nur ein Ensemblemitglied, sondern auch eine Freundin.

Und nun folgt die Fortsetzung. Der Titel hat sich von "Post Truth" zu " Gutmenschen" gewandelt. Warum?

Eigentlich wollten wir eine andere Geschichte erzählen. Als Titel stand auch "Fröhliche Apokalypse" zur Diskussion. Aber dann erhielt Yousif seinen negativen Asylbescheid. Da war klar, dass wir den Fokus verändern müssen. Und wir mussten auch einen neuen Titel suchen. Denn "Post Truth" hat nicht mehr gepasst.

Sie haben den Bescheid bereits Mitte November 2017 thematisiert – in Ihrer Dankesrede für den Nestroy, den Sie für Ihre Arsinoe in "Der Menschenfeind" erhielten. Wie kam es dazu?

Am Tag der Preisverleihung hatten wir eine Probe für "1984". In der Früh kam mein Kollege Kaspar Locher in den sogenannten "Stauraum". Dort gehen wir immer den Text durch. Er fing zu weinen an und erzählte, dass Yousifs Asylbescheid eingetroffen sei. Kaspar Locher ist der Lebensgefährte von Seyneb Saleh; die beiden haben sich in den letzten zweieinhalb Jahre sehr intensiv um Yousif gekümmert. Yousif war unser Freund geworden. Wir saßen fassungslos herum. Ein Jahr zuvor war "Lost and Found" als bestes Stück mit einem Nestroy ausgezeichnet worden. Und heuer waren vier Volkstheater-Schauspieler nominiert: Evi Kehrstephan, Lukas Holzhausen, Rainer Galke und ich. Wir kamen überein, dass man nicht schweigen dürfe, wenn eine oder einer von uns einen Nestroy bekommt. Und so haben wir die Pausen während der Probe dazu genutzt, diese Rede aufzusetzen. Jeder hatte eine Kopie in der Tasche. Wer den ersten Nestroy bekommt, liest vor. Das war eben ich. Und das passte auch. Denn ich war im Ensemble von "Lost and found".

Der damalige SPÖ-Kulturminister Thomas Drozda versprach sogleich, sich für Yousif einzusetzen, und erhielt stürmischen Applaus. Wie ist die Geschichte ausgegangen?

Herr Drozda wäre wohl zu seinem Wort gestanden. Aber er konnte nicht helfen. Denn der Fall muss den Weg des Rechtsstaats gehen. Yousif hat gegen den Bescheid Einspruch erhoben, er wartet nun auf seine Verhandlung. Das kann bis zu einem Jahr dauern. Die Asylwerber sind aufgerufen, sich in der Zeit noch mehr zu integrieren.

Aber er ist doch bereits integriert – in dieser Theatergemeinschaft.

Nicht nur! Er ist in Wien integriert. Er ist Gasthörer auf der Uni, er hat Deutsch gebüffelt wie blöd und er hat viele Freunde auch außerhalb des Theaters. Die letzten Abschiebungsfälle haben leider gezeigt, dass Integration anscheinend nur mehr ein Wort ist, das nichts bedeutet. Dabei, wie es in unserer Rede heißt: Wenn der österreichische Staat ihn abschiebt, kommt dies einem Todesurteil gleich.

Tatsächlich?

Er hat Etliches erleben müssen, das ausreicht, ein Land zu verlassen. Die schiitische Miliz war hinter ihm her, es war ihm zuletzt nicht mehr möglich, in sein Haus zurückzukehren, weil sie dort auf ihn gewartet haben.

Steht Maryam, eine Bloggerin, und ihr Bruder Elias auch in "Gutmenschen" im Zentrum?

Ja, Maryam hat von Schnute ein Kind bekommen. Sie lebt mit den beiden sowie mit Yousif und ihrem Sohn aus ihrer ersten Beziehung in der Wohnung des verstorbenen Vaters. Schnute hat nun einen Partner namens Moritz. Und seine Mutter taucht regelmäßig auf, um das Enkelkind zu sehen. Elias hingegen wohnt bei seiner neuen Partnerin.

Klassisches Patchwork also. Und wieder amüsant? Oder doch auch deprimierend?

Die Ausgangslage ist der negative Bescheid. Aber Yael Ronen versucht immer, dem Leben mit Humor beizukommen. Denn meine Maryam hat jetzt eine Online-Reality-Show. Und die soll just an dem Tag starten, an dem der Asylbescheid eintrifft.

Wird Maryam sich an die Öffentlichkeit wenden?

Es stellt sich die Frage: Ist die Öffentlichkeit gut für Yousif? Oder würde der Schuss nach hinten losgehen?

Warum dieser Titel? "Gutmensch" ist mittlerweile doch ein Schimpfwort geworden.

Wir verhandeln den Begriff daher auch auf der Bühne. Die Figuren versuchen jedenfalls, keine schlechten Menschen zu sein.

"Gutmenschen" ist – unter anderem nach "Hakoah Wien" und "Niemandsland" – bereits Ihre fünfte Zusammenarbeit mit Yael Ronen.

Das Stück entwickeln mit Yael: Das ist für mich der Inbegriff dessen, wie ich arbeiten möchte. Ich bin froh, dass sie in meinem monotonen Leben immer wieder etwas findet, dass sie verwenden kann.