Im Zauberwald namens Theater
Von Thomas Trenkler
Bis zum Äußersten hatte es Leander Haußmann getrieben. Mithilfe von Bühnenbildner Lothar Holler erschuf er einen Wald vor den Toren Athens, der im wahrsten Sinn des Wortes verzaubert – auch das Publikum. Die vierte Wand wird nicht eingerissen. Und Haußmann vertraut auch nicht auf die Imaginationskraft: Auf der riesigen Guckkastenbühne des Burgtheaters stehen mächtige Bäume, mittendrin liegt ein Teich und ein kleiner, runder Tempel. Mit jeder Drehung ändert sich der Wald: Er wird zum Irrgarten – für die Verliebten, die nicht wissen, wen sie warum lieben.
Aber dann entdecken die sechs Handwerker einen uralten, schon überwucherten Sicherungskasten. Sie hatten sich in den Wald, diesen Zauberwald mit all den faszinierenden Video-Projektionen, zurückgezogen, um die Tragödie von Pyramus und Thisbe einzustudieren.
Bei der Hochzeit des Herzogs und der Amazonenkönigin Hippolyta wollen sie das Stück zur Aufführung bringen. Und wie Martin Schwab als Spielleiter Peter Squenz anfangs angemerkt hatte, tut Eile Not: "Wir haben nur 36 Stunden Zeit. Wir können nicht noch einmal verschieben!"
Haußmann hatte bekanntlich noch vier Tage herausgeschunden. Denn die Premiere von Shakespeares "Ein Sommernachtstraum" hätte eigentlich am 6. September stattfinden sollen; dieses Datum ist auch im Programmheft vermerkt. Aber weil ein Zauberwald auf der Bühne keine einfache Zauberei ist, wurde die Premiere auf den 10. September verlegt.Im KURIER-Interview hatte Haußmann einen Gedanken geäußert, der leider dem Rotstift zum Opfer fiel.
Er sagte: "Die Premiere ist in der Regel die schlechteste Vorstellung. Nach vier oder fünf Vorstellungen mache ich meistens noch einmal eine Probe, um Dinge zu verändern, nach der zehnten Vorstellung haben sich die Stücke stark weiterentwickelt. Die Premiere war gestern. Die nächste Vorstellung ist morgen. Und die ist wichtig." So gesehen ist dies der Bericht nicht über eine Premiere, sondern eine äußerst geglückte Inszenierung. Und über das, was Theater selbst im Wettstreit mit Fantasy-Filmen vermag.
Oder wozu es sonst noch fähig ist. Denn nach der Pause entdecken die Handwerker eben einen Sicherungskasten. Der beherzt agierende Schnock, der bei Haußmann querschnittsgelähmt im Rollstuhl sitzt, verbindet die zwei Kabeln ...
Zuvor schon hatte der Schreiner, weil die Baumkronen kein Mondlicht einfallen ließen, mit der Motorsäge einen Baum gefällt. Und nun verbindet Dirk Nocker ohne mit der Wimper zu zucken Plus mit Minus. Die Projektionen (von Jakob Klaffs und Hugo Reis) zerfallen zu Farbstreifen, die malerische Lichtstimmung (von Friedrich Rom) ist schlagartig weg. Was bleibt, ist Realität.Inszenierte Realität. Bei stumpfem Neonlicht tragen die Bühnenarbeiter die Bäume ab. Puck, der treue Diener seines innig geliebten Elfenkönigs Oberon (Johannes Krisch), rennt verzweifelt durch die Szenerie – auf der Suche nach "seinem" Baum.
Erstaunliche Nacht
Auch Nikolaus Zettel, der Weber, ist fassungslos. Er war von Puck in einen Esel verwandelt worden. Trotzdem erlebte er eine erstaunliche Nacht mit Titania, der Elfenkönigin (Stefanie Dvorak). Denn Oberon hatte seiner Frau im Ehestreit einen Blütensaft aufs Augenlid getropft, der zur Liebesraserei zwingt. Nun ist Zettel wieder er selbst: Die Liebesnacht kann nur ein Traum, ein Sommernachtstraum, gewesen sein. Im Gegensatz zu anderen Inszenierungen entkommt ihm auch kein Eselsschrei mehr. Nach kurzem Räsonieren eilt er zu den Freunden, die Vorstellung kann doch noch stattfinden.
Der Vorhang hebt sich – und die Truppe spielt in Richtung eines gespiegelten Burgtheatersaales. Dort sitzen auch die zwei Paare, die in der vergangenen Nacht erfahren mussten, wozu Gefühle führen können. Helena (Mavie Hörbiger) ist in Demetrius (Matthias Mosbach) verliebt, doch dieser liebt Hermia (Sarah Viktoria Frick) und soll sie heiraten dürfen. Hermia aber liebt Lysander (Martin Vischer). Sie flüchtet mit ihm in den Wald, in dem andere Gesetze herrschen.
Den beiden folgt Demetrius, und diesem wieder die ihn hündisch liebende Helena. Aber weil Puck dem Falschen die Augen eintropft, orientiert Lysander sich schlagartig um. Helena fühlt sich gefoppt, Hermia gedemütigt. Und dann macht Puck auch noch Schabernack. In Haußmanns turbulenter Inszenierung geht das letal aus. Vorerst.
Aber auch das Verhältnis zwischen Theseus (Daniel Jesch) und Hippolyta (Alexandra Henkel) ist kompliziert. Er, der Diktator, hat sie sich einfach genommen. Zu Beginn versucht sie zu entfliehen. Erfolglos. Im Endeffekt sind sie aneinandergekettet. Hippolyta kann Theseus zumindest besänftigen. Denn dieser regiert mit der Pistole: Wenn die Künstler nicht parieren, dann ... Und so kommt in der Darbietung der Handwerker bei Haußmann, aufgewachsen in der DDR, eine politische Dimension ins Spiel. Er wäre wohl gerne noch direkter geworden. Denn auf den Fotos im Programmheft sind die Männer Offiziere – und ihre Frauen voll verschleiert. Die Kritik an der Unterdrückung wurde also gestrichen, Lysander und Demetrius bleiben im 70er-Jahre-Outfit.
Neckische Spalte
Ihren Auftritt meistern die Handwerker mit Bravour. Und auch die Schauspieler brillieren: Hermann Scheidleder als Schlucker, Hans Dieter Knebel als dauerbetrunkener, torkelnder Schnauz, der für die Aufführung – er spielt die Mauer – festgenagelt werden muss. Die Spalte ist geradezu neckisch: Peter Matić, der als Flaut die zarte Thisbe geben darf, und Johann Adam Oest als Zettel, der am liebsten nicht nur den Pyramus spielen würde, krabbeln zwischen Knebels Beinen zueinander, um sich zu küssen. Regie führt ein impulsiver Martin Schwab, der als Peter Squenz seine liebe Not hat mit der Truppe.
Und noch einer berührt besonders: Christopher Nell als Puck. Wenn er nach dreieinviertel Stunden den Schlussmonolog spricht, ist es mucksmäuschenstill. Schade, dass der Abend damit zu Ende ist. Wie oft kann man das sagen? Großer Jubel.