Im düsteren Blätterwald
Von Michael Huber
Ein Künstler wollte er nie sein, und vielleicht gab es dafür rein praktische Gründe: Vermutlich wäre es dem herausragenden französischen Dichter Victor Hugo (1802– 1885) schlicht zu mühsam geworden, sich neben seinen literarischen und politischen Tätigkeiten auch noch mit den Konventionen des Kunstbetriebs im Paris des 19. Jahrhunderts anzulegen.
Ein Kind seiner Zeit
Die in einem Saal konzentrierte, höchst sehenswerte Ausstellung des Leopold Museums – die erste Werkschau von Hugos Bildern in Österreich – warnt dennoch davor, den Schriftsteller reflexartig als "Vorläufer der Moderne" zu vereinnahmen. Wie der Kunsthistoriker Raphael Rosenberg im Katalog ausführt, stand Hugo nicht im Widerspruch zu den Gepflogenheiten seiner Zeit.
Auch beim Experimentieren mit Klecks- und Zufallsbildern und bei der Darstellung von düsteren Traum-Szenarien war Hugo nicht allein. Die technischen Innovationen des 19. Jahrhunderts, allen voran die Fotografie und verwandte Techniken wie der "Naturselbstdruck", befanden sich damals in enger Nachbarschaft zu esoterischem Gedankengut und dienten als Werkzeuge, um "Geisterhaftes" ins Bild zu bannen.
Abdrücke von Spitzenbordüren, die Hugo zu "Geistergesichtern" ergänzte, lassen hier an jene Fotos denken, mit denen später auch ein anderer Literat – "Sherlock Holmes"-Erfinder Arthur Conan Doyle – versuchte, spukhafte Atemwolken von Menschen, das so genannte "Ektoplasma", zu fotografieren.
Kaum Aussicht auf Ehre
Die grotesken Papierzeichnungen waren zu Hugos Zeiten jedoch allenfalls als Spielereien akzeptiert. Dass der Dichter selbst so kontinuierlich an ihrer Anfertigung festhielt, spricht dafür, dass das bildnerische Werk für sein Schaffen viel größere Bedeutung besaß. Für das Publikum heute öffnet sich die Gelegenheit, den großen Literaten doch noch als "Gesamtkunstwerker" zu betrachten.
INFO
Die Ausstellung „Victor Hugo – der schwarze Romantiker“ zeigt bis 15. 1. 2018 rund 60 Werke – neben Grafiken und Aquarellen Hugos auch Fotos und Bilder seiner Zeitgenossen. Der Katalog kostet 24,90 €. Das Bruseum der Neuen Galerie Graz zeigt bis 14. 1. in der Schau „Nach der Dämmerung“ Parallelen von Victor Hugo und Günter Brus. Beide Künstler verbinden ähnliche Themen, beide wechseln in ihrer Arbeit zwischen Bildern und Texten – und beide wurden wegen politischer Aufmüpfigkeit ins Exil gedrängt. www.bruseum.at