„ Ich weiß nicht, ob das jemanden gestört hat, aber...“
Steve Johnson ist Designchef von Netflix. Er arbeitete als Betreuer in einer Wohngemeinschaft für Autisten und fand 1994 seinen Weg zum digitalen Design. Nach Stationen bei der Gamingschmiede Electronic Arts, bei der Kreativplattform Adobe und beim Jobnetzwerk Linkedin stieß er 2016 zu Netflix.
Mit einem 80-köpfigen Team entwirft er Lösungen zur Bedienung der Plattform. Teilweise wird es auch recht kleinteilig – etwa wenn die Hintergrundfarbe des Logos nicht mehr passt. Mit dem KURIER führte Johnson ein Gespräch über gutes Design und die unbürokratische Firmenkultur des Streaminggiganten.
KURIER: Sie haben im Februar das Logo von Netflix erneuert. Warum haben Sie das eigentlich veranlasst? Die Marke kennt man ja schon.
Steve Johnson: Wir waren der Meinung, dass wir einen Refresh brauchen, weil wir immer wieder dasselbe beobachtet haben: Das Original-Logo war weiß‚ und hell und leuchtete stark, wenn es angezeigt wurde. Menschen saßen zuhause in ihrem Wohnzimmer und der ganze Raum wurde erhellt. Ich weiß nicht, ob das jemanden gestört hat, aber dennoch: Wir wollten etwas entwerfen, das näher am Seherverhalten der Leute ist. Und das war: „Lass’ es uns dunkel machen.“
Sie haben das binnen drei Monaten durchgeboxt, was für ein Firmenlogo in dieser Preisklasse Lichtgeschwindigkeit ist. Das klingt nach einer spannenden Firmenkultur.
Es ist fantastisch. Mir war nicht klar, dass mir das in meiner Karriere bisher gefehlt hat. Ich wurde quasi meine gesamte Laufbahn darauf trainiert, an Hierarchie und Bürokratie zu glauben. Man soll nicht mit Leuten reden, die eine höhere Stellung haben, und wenn die etwas sagen, dann hat man zu lächeln und zu nicken. Dieser Ort ist interessant, weil: Das funktioniert hier einfach nicht. Und das liegt daran, dass wir die besten Ideen bekommen wollen, die es nach menschlichem Ermessen gibt. In einer bürokratischen Firmenkultur ist es so, dass die Person mit der kleinsten Stimme sich nicht zu Wort melden wird. Sie könnte aber die beste Idee von allen haben. Wir wollen sicherstellen, dass alle diese Ideen gehört werden. Eine grundsätzliche Frage: Was macht für Sie gutes Design aus?
Das ist meine liebste Frage: Gutes Design ist für mich etwas, das die Distanz zwischen Anfrage und Ziel reduziert. Das heißt: Es ist einfach simpel. So wie diese Wasserflasche (hebt eine Flasche hoch): Dinge, die so simpel und erbaulich sind, dass man in der Sekunde, in der man sie berührt weiß, wofür sie sind und dass sie die eigenen Bedürfnisse schnell befriedigen.
Sie leiten die Designabteilung von Netflix. Mit welchen Fragen setzen Sie sich dabei auseinander? Viele Leute glauben, Design sei nur der Look eines Produktes. Es geht aber um die Interaktion zwischen Mensch und Computer: Was man anklickt, was man wischt, was passiert, wenn man etwas antippt und was man sich davon erwartet. Die Optik machen nur 20 Prozent davon aus, was wir tun. Die 80 Prozent sind tiefes Verständnis darüber zu erlangen, wie man ein Produkt nutzt.
Wie kommt man zu diesem Wissen?
Wir stellen viele Fragen und haben ein Team, das sich mit Kundenbedürfnissen auseinandersetzt. Es geht aber auch um Intuition: Wir wissen, welche Geräte und Produkte die Menschen gerade nutzen – und wie. Da gibt es gewisse Gewohnheiten. Ein Beispiel: Eine Dating-App hat festgelegt, dass nach rechts wischen „löschen“ bedeutet. Das hat sich auf dem ganzen Planeten durchgesetzt.
Welche Bedienungsgewohnheiten ihrer User sind noch wichtig?
Das Gitter und das große Billboard oben sind wichtig. Wobei kleine Erörterungen, etwa zum Interface einen großen Unterschied machen können. Zum Beispiel: Unsere TV-Oberfläche ist optimiert für die schlimmste Bedienungsart des Planeten: Der TV-Fernbedienung. Die sind schrecklich! Versuchen Sie einmal,„Umbrella Academy“ in ein Suchfeld einzugeben. Mit einem Smartphone hingegen ist es einfach. Das heißt: Wenn wir designen, müssen wir berücksichtigen, dass eine Person vor einem 50-Zoll-Fernseher sitzt und die andere vor ihrem Smartphone beim Pendeln in die Arbeit.