Holender-Vorschlag: Probebühnen öffnen für Flüchtlinge
Von Thomas Trenkler
Ioan Holender, 1935 in Temeswar geboren, ist ein profunder Kenner der Bundestheater. Denn er war von 1992 bis 2010 Direktor der Wiener Staatsoper. Im Interview mit dem KURIER schlägt er vor, die Verträge – unter anderem mit den Philharmonikern – zu hinterfragen.
KURIER: Die Bundestheater sollen 14 Millionen Euro mehr bekommen. Ist das gerechtfertigt? Wolfgang Zinggl von den Grünen befürchtet, dass für alle anderen Kulturinstitution daher weniger Geld bleibt.Ioan Holender: Ich verstehe die Kritik der Opposition an der Novelle zum Bundestheaterorganisationsgesetz. Österreich befindet sich, wie viele andere Länder, in einer finanziell prekären Lage. Bildung, Gesundheit und Wissenschaft sind nicht unwichtiger als die Bundestheater. Und die Zeiten ändern sich. Man müsste zum Beispiel zur Kenntnis nehmen, dass es mit dem Theater an der Wien ein drittes Opernhaus in Wien gibt. Daher kann man nicht darauf pochen, dass das System der gloriosen Vergangenheit, also das Repertoiretheater, unhinterfragt weiterfinanziert werden muss.
Sie würden ob der Kosten vom Repertoire-Betrieb abrücken?
Nein. Aber: Würde die Welt untergehen, wenn die Bundestheater nur sechs Mal in der Woche spielen? Es gibt ohnedies schon viele verdeckte Schließtage: Liederabende, Diskussionen, Kabaretts, Fremdvermietungen. Und es gibt Schließtage wegen Premierenvorbereitungen. Hochgerechnet kommen wir dem wöchentlichen Schließtag schon sehr nahe.
Sind Schließtage wirklich der Weisheit letzter Schluss?
Ich verstehe, dass sich jeder Kulturpolitiker weigert, Schließtage anzuordnen. Aber die Kollektivverträge für Chor, Orchester und Technik könnten durchleuchtet und der gegenwärtigen Situation angepasst werden. Es gibt viele erworbene Rechte für Leistungen, die man heute nicht mehr braucht, die jedoch Kosten verursachen.
Zum Beispiel?
Wir wissen, dass die Philharmoniker das beste Opernorchester der Welt sind. Wenn sie spielen. Aber sie spielen immer weniger. Ich finde, sie sollten nicht bei mehr Vorstellungen abwesend sein, als sie vertraglich zugestanden haben. Aber sie sind viel mehr abwesend.
Die Philharmoniker gehen gerne auf Tournee, die Mitglieder spielen nebenbei in Ensembles. Im Orchester gibt es daher eine relative hohe Fluktuation.
Dirigenten, die auf einen Klang Wert legen, wollen die Vorstellungen mit den Musikern bestreiten, mit denen sie das Werk geprobt haben. Das verstehe ich. Denn ich glaube nicht, dass die nichtangestellten Mitglieder des Staatsopernorchesters, also die Substitute, besser sind als die angestellten Mitglieder. Und eine Belcanto-Oper ist nicht unwichtiger als eine Oper von Strauss oder Wagner. Die Leute zahlen dasselbe, sie haben daher das Recht auf dieselbe Qualität.
Sie meinen, dass sich die Philharmoniker bei Donizetti- oder Rossini-Opern eher von ihren Schülern vertreten lassen?
Wenn Christian Thielemann führt, sei es auch nur "Hänsel und Gretel" und nicht der "Ring": Dann sind die Philharmoniker vollzählig da. Aber ansonsten? Deswegen sollte man sich, finde ich, den Kollektivvertrag anschauen. Ich kann mir auch vorstellen, dass es in der fernen Zukunft ein eigenes Staatsopernorchester gibt. Zudem müsste man darauf achten, dass die Premierenbesetzung im Graben und auf der Bühne zumindest zwei Saisonen hält. Denn sonst probt man ja zwei Monate für die Katz’. Es geht also um Probeneffizienz.
Aber es fallen immer wieder Sänger aus. Die Staatsoper informiert regelmäßig über Besetzungsänderungen.
Das ist lobenswert, doch durch die Dichte zu hinterfragen. Auch da braucht es Kontrolle! Kulturminister Josef Ostermayer will die Holding stärken. Man müsste daher zum System des ehemaligen Generalsekretärs Robert Jungbluth zurückkehren: Er unterschieb jeden Vertrag mit und haftete somit. Natürlich soll der Holding-Chef sich nicht ins Künstlerische einmischen dürfen. Aber er soll sich zumindest gegen bestimmte Verträge wehren können. Das wäre eine wirkliche Stärkung der Holding.
Tatsächlich ist jedoch die Entmachtung geplant: Künftig bestellt der Minister auch die kaufmännischen Geschäftsführer.
Ein Dritter bestimmt den zweiten Mann eines Hauses? Das hätte es nicht einmal in der Kaiserzeit gegeben! Ich wäre sofort weg! Denn wenn sich der als Versager herausstellt, gehe ich als Direktor unter! Hinzu kommt: Der gegenwärtige Kulturminister ist ein kundiger, offener, progressiv denkender Mann. Aber wir haben gerade die Steiermark-Wahl miterlebt.
Und im Burgenland koaliert die SPÖ mit der FPÖ. Sie meinen: Was wäre, wenn ein nicht so kundiger Mann einer anderen Partei Kulturminister wird?
Genau. Die FPÖ hat mir unterstellt, dass ich die österreichische Identität infrage stelle, weil ich angeblich den Opernball abschaffen wollte. Aber der Minister muss nicht einmal von einer anderen Partei sein. Claudia Schmied, Ostermayers Vorgängerin, sagte, dass der Opernball zur künstlerischen Identität der Staatsoper gehört. Also: Vielleicht kommt einmal ein Minister, der anders denkt als Ostermayer. Das Gesetz aber bleibt gültig. Und dann bestimmt dieser Minister, wer z. B. Verwaltungsdirektor wird!
Ich muss Sie enttäuschen: Josef Ostermayer denkt nicht anders. Das Ausrichten des Opernballs gehört künftig per Gesetz zum kulturpolitischen Auftrag der Staatsoper.
Was, der Faschingsunterhaltungsabend? Das ist ja lächerlich! Aber wenn wir schon von kulturpolitischem Auftrag reden: Die Theaterhäuser sollten auch Stücke und Opern spielen, die nicht selbstverständlich eine hohe Auslastung haben. Es sollte keine Schande sein, wenn die Auslastung dann sinkt. Es ist eher eine Schande, wenn man nur "Zauberflöte", "Carmen" und "Traviata" spielt. Das kann jeder ansetzen. Und die Leute werden gehen. Denn sie essen am liebsten "Schnitzel", auch wenn andere Speisen besser wären.
Künftig wird der Kulturminister zudem für die Verteilung der Mittel zuständig sein.
Ich habe Ihren Artikel gelesen: Der Minister will das Geld "nach den Bedürfnissen" verteilen. Was heißt das? Dass die Bankrotteure das meiste Geld bekommen? Es sollte im Vorhinein bekannt sein, welches Budget jedes Haus bekommt. Und daran hat man sich zu halten.
Brauchen wir eine Holding?
Wenn sie nicht gestärkt wird: Dann stellt sich die Frage wirklich. Bei den Bundesmuseen gibt es keine Holding – und sie funktionieren trotzdem. Man müsste sich auch fragen, ob es eine gemeinsame Service-Gesellschaft braucht. Die Zielsetzungen des Burgtheaters und der beiden Opernhäuser sind ganz andere. Und: Braucht ein Opernhaus mit höchstens fünf Premieren pro Jahr überhaupt eine 1:1-Probebühne? Wenn nicht, vor allem nicht in der Nacht: Dann könnte man die Probebühnen ja vielleicht nutzen, um Flüchtlinge zu beherbergen.