Kommissar Wallander nimmt ein zweites Mal Abschied
Von Peter Pisa
Die beste Geschichte hat Henning Mankell nicht aufgeschrieben.
Er hat sie an die dänische Journalistin Kirsten Jacobsen weitergegeben, für das Porträt „Mankell über Mankell“ – ein Buch, in dem er redet und ist, wie er ist; ein ernstes, einsames Kind, unnahbar, engagiert, auch zornig, auch verletzend.
Die Geschichte hat ihm ein Freund erzählt. Der hat seine alte Tante im Spital besucht. Sie lag im Sterben. Er hat sich von ihr verabschiedet und sich beim Weggehen noch einmal umgedreht. Da sah er, dass sie winkte.
„Winkst du mir zu?“
„Nein“, antwortete die Tante, „ich winke allen zu.“
Allen zum Abschied winken ... zu Mankell würde das nicht passen, so gut ist er mit der Welt nicht; und zu seinem berühmten Kommissar Wallander schon gar nicht: Der musste 2010 in „Der Feind im Schatten“ abtreten, indem er seine Tochter nicht mehr erkannte.
Alzheimer sollte ganz am Ende stehen, zumal (auch) der heute 65-jährige Bestsellerautor darin die Bedrohung seines Leben sieht – und sich überlegen würde, in einem derartigen Fall Schluss zu machen.
Einen kurzen Roman über Kurt Wallander gibt es noch.
Es ist der zwölfte und allerletzte große Fall. „Mord im Herbst“ ist diese Woche erschienen und spielt kurz vor „Der Feind im Schatten“. Ursprünglich wurde er in den Niederlanden als Gratisbuch verteilt.
Die wenigen Seiten machen mehr Freude als der dicke Abschiedsroman. „Mord im Herbst“ ist zwangsläufig nicht so vollgepackt und hat trotzdem Platz für einen historischen Hintergrund.
Kein Häuschen
Es ist der Herbst Wallanders. Er merkt, wie seine Zeit schrumpft. Viele braune Blätter wirbeln über die Seiten. Ruhe will er, vor allem vor sich selbst.
Noch wohnt seine Tochter Linda bei ihm, sie arbeitet bereits als Kollegin bei der Polizei in Ystad (und es ist nicht auszuschließen, dass sie in Zukunft zur Heldin eines Buchs wird, während der Vater durchs Land der Dämmerung wandert). Noch hat der Kommissar keinen schwarzen Hund und kein Häuschen am Meer.
Aber er schaut sich eines an, das verkauft wird; und stolpert im Garten. Er stolpert über eine skelettierte Hand, die aus der Erde ragt. Eine Leiche aus den letzten Kriegsjahren, als estnische Familien auf der Flucht waren.
Unter den Johannisbeersträuchern könnte man auch noch graben ...
Und damit ist es nun wirklich aus und vorbei mit Kurt Wallander. Henning Mankell vermisst ihn nicht. Ein Freund war der zuckerkranke, übergewichtige, oft saufende Polizist nie.
Es gibt Wichtigeres zu tun. Zur Journalistin Kirsten Jacobsen hat Mankell am Ende des ersten, zweistündigen Interviews gesagt:
„Während wir hier miteinander sprechen, sind mehr als eintausend afrikanische Kinder an Malaria gestorben. Das müsste nicht sein.“
KURIER-Wertung: