Wie Mann sich die Liebe abgewöhnt
Von Peter Pisa
Er träume nie, hat Haruki Murakami einem Journalisten erzählt. Deshalb habe er einen Therapeuten aufgesucht, und der hat gemeint: "Dass Sie nie träumen, macht Sinn."
Wieso? Aus Zeitgründen hat Murakami diese Frage nicht gleich stellen können, und als er den Therapeuten deshalb ein paar Tage später anrief, war dieser tot.
Könnte doch sein, dass die Antwort gelautet hätte: Murakami träumt so intensiv beim Schreiben, da bleibt nichts für die Nacht übrig.
Er hat schon einen Toten im Schafskostüm auf einen Berg spazieren lassen (in "Wilde Schafsjagd"), und kleine böse Menschen sind aus dem Maul einer blinden Ziege gekrochen (in "1Q84") usw.
Da gerät man zwar leicht unter Verdacht der Schaumschlägerei – aber immer wird der Japaner als Kandidat für den Literatur-Nobelpreis ins Spiel gebracht. Gewonnen hat er aber wieder nicht.
Liebe abgewöhnen
Kaum hatte sich sein jüngster Roman vom farblosen Herrn Tazaki innerhalb von drei Wochen eine Million Mal verkauft, hat sich der 65-Jährige auf sechs Erzählungen mit dem Übertitel "Von Männern, die keine Frauen haben" gestürzt.
Es geht meist um schwierige, gescheiterte Beziehungen, und man denkt an Hemingways Sammlung mit ähnlichem Titel ("Männer ohne Frauen").
Aber Murakami braucht in seinen "langen Kurzgeschichten" keine Machos – und er braucht Frauenfiguren, um zu zeigen, wie einsam so ein Mann ist, wenn ihn die mit Leidenschaft geliebte Partnerin verlassen hat.
Wie einsam bzw. wie tot.
Nehmen wir den Schönheitschirurgen, der sich derart stark verliebt, dass er sich die Liebe abgewöhnt und nichts mehr isst, nur noch im Bett liegt und auf den Plafond starrt, weil sonst sein Herz zerspringen würde.
Er heilt sich (gewissermaßen), indem am Ende alle seine Organe streiken.
Oder der junge Kellner, der seine Freundin aus Kindheitstagen nicht anfassen will, weil sie ihm dafür viel zu wertvoll ist.
Schon ist sie weg.
Und der Schauspieler, der von den Affären seiner schönen Ehefrau wusste, sie aber nie gefragt hatte, was sie an ihm vermisste, und jetzt kann er nicht mehr, sie ist tot.
Es sind die Männer, die bei Murakami so viele Umwege machen und deshalb nicht ankommen
... und dann hat sich der Autor (wieder) etwas von Kafka gegönnt: dessen Gregor Samsa, wie er aufwacht, nein, eine Küchenschabe ist er nicht geworden, eher ein ahnungsloses Kind in dieser seltsamen Welt, immerhin ein Kind mit einer Erektion ...
Kein Wunder, dass dem ehemaligen Jazzlokal-Besitzer Murakami gefällt, wie "bizarr" Thelonious Monk Klavier gespielt hat.
KURIER-Wertung: