Kultur

Die Angst, dass jemand sehen könnte, wie einsam man ist

Und wenn man lebt, sogar in einer Ehe lebt? Dann steht das Ehepaar in der Schlange vor der Supermarktkasse, und sie fragt: „Was für einen Käse hast du gekauft?“ – „Morbier.“ Und sie schreit: „Was, keinen Schweizer?“ – „Hab ich vergessen.“ Er will sich aber nicht noch einmal beim Käse anstellen, und es gibt Streit deswegen.

Und wenn man tot ist?

Mit Mühe hat man es geschafft, dass der letzte Wunsch erfüllt und die Asche in einen Fluss gestreut wird. Danach streiten die Angehörigen, was denn mit der 10-Euro-Tasche geschehen soll, in der die Asche transportiert wurde.: „Wegwerfen.“ – Nein, damit kann man einkaufen gehen!“

So geht das weiter.

„Glücklich die Glücklichen“ heißt der Roman. Aber die 54-jährige Yasmina Reza, meistgespielte zeitgenössische Theaterautorin („Gott des Gemetzels“), lässt niemanden glücklich sein.

Sie schaut sich bei den vermögenden Parisern um und reiht Momentaufnahmen mehrerer Familien und Singles aneinander ... Arzt, Schauspielerin, Ex-Bankier, Journalist ... Alle kennen einander bzw. sind miteinander verwandt. Am Ende treffen alle kurz zusammen.

Nun könnte man ja über die eigenen Dummheiten lachen und verzweifeln, rein theoretisch könnte man das.

Angenehmer ist es, man liest bloß darüber. Zumal Yasmina Reza etwas Einmaliges beherrscht: Mit einem einzigen Satz kann sie für Heiterkeit und Trauer sorgen.

Tröste mich!

Der große Gedanke, der sie in „Glücklich die Glücklichen“ vorantreibt, ist nicht das ewige Streiten.

Sondern die Einsamkeit. Egal, ob man verheiratet ist, Freunde hat, fremdgeht.

Paola trägt ihrem neuen Liebhaber auf Seite 53 das Zitat vor: „Wenn ich zu Hause bin, habe ich Angst davor, dass jemand vorbeikommen und sehen könnte, wie einsam ich bin.“

Schon lässt sie ihr Freund allein – mit dem Kommentar: „Iss ein paar Fritten.“

Und wenn man als Single lebt – wie der homosexuelle Arzt Philip. Längst hat er darauf verzichtet, die Liebe zu suchen. Er kauft sich, was er braucht. Was braucht er? Zuerst befiehlt er: „Gib mir eine Ohrfeige!“

Danach: „Tröste mich!“

Autogramme

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Yasmina Reza baut gern. Man merkt, dass ihr das Architektonische ihrer Romane Freude bereitet.

Beim Lesen könnte es mehr erfreuen, würde sie ihre Geschichte durchgehend erzählen – außer man hat Puzzlespiele gern.

... und wenn es zufällig einmal so aussieht, als könnte es ein bisschen Glück in einer Familie geben? Dann macht der 20-jährige Sohn Probleme und bildet sich ein, Céline Dion zu sein.

Er musste in eine psychiatrische Anstalt eingeliefert werden. Dort gibt er jetzt dem Personal Autogramme.

KURIER-Wertung:

INFO: Yasmina Reza: „Glücklich die Glücklichen“ Übersetzt von Hinrich Schmidt- Henkel und Frank Heibert. Hanser Verlag. 176 Seiten. 18,40 Euro.