Gerhard Roth ist in Venedig, wo Gott wohnt
Von Peter Pisa
Venedig, ein Märchen, ein grausames Märchen
Unter einem Holunderstrauch auf der Insel Torcello sitzt Lanz – ein Mann aus Wien, der seit zwei Jahren am Lido lebt; er ist betrunken, leer war er schon vorher, zu leben hat er verabsäumt:
Seine Frau ist bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen, und zwar gemeinsam mit ihrem Geliebten, das hat Lanz dann in einem Aufwaschen mit ihrem Tod erfahren.
Er will sich erschießen.
Da sieht er drei schwarz gekleidete Typen aus einem Motorboot steigen, wie Sargträger sehen sie aus, sie schleppen einen Ohnmächtigen ins Gras und schneiden ihm die Kehle durch. Das machen sie so routinemäßig wie andere Rasenmähen. Sie schalten einen Konkurrenten aus. Berufskiller.
Nirgendwo hat man seine Ruhe!
So ist das, weil (wie schon Shakespeare aufgeschrieben hat): „Die Hölle ist leer – die Teufel sind alle hier“.
Das ist Gerhard Roths zweiter Venedig-Roman. Er macht es einem diesmal einfacher als in „Die Irrfahrt des Michael Aldrian“ (2017), auf dem Boden zu bleiben.
Neu ordnen
Wer will, hat einen Kriminalroman vor sich. Wer will, bekommt sogar Tipps, was man sich in Venedig noch anschauen könnte (den Skulpturengarten der dicken Menschen auf Torcello).
Und wenn’s gar sein muss, ist das Buch ein Naturführer, denn Roth kümmert sich ja auch um Mauereidechsen.
Jedenfalls saugt er alle alltäglichen Schönheiten auf, das kann ein Regentropfen sein, Unkraut, ein Glassplitter, ein Schmetterling ... und dann ordnet er alles neu und legt es gleichsam im Buch auf, zum Meditieren, bis sich ein Weg ergibt ... zu Gott?
Könnte durchaus sein, dass es Lanz gelungen ist, sich zu erschießen.
Könnte sein, dass alles Folgende in den Sekundenbruchteilen zwischen Leben und Tod passiert .
Wie es euch gefällt.
Im ersten Roman war Gott nicht da bzw. er hat geschwiegen. Aber jetzt, jetzt scheint er ein Guter zu sein.
Lanz gerät ins Visier von Schleppern, die Afrikaner nach Venedig bringen und sie als Strandverkäufer oder Prostituierte versklaven.
Zwei Mal überlebt Lanz Attacken eines mit Hundemaske getarnten Verbrechers.
Als dann sein Haus am Lido angezündet wird, bekommt er ein schöneres auf der Giudecca geschenkt – der edle Spender – ein sehr alter Mann, der alles weiß, alles – sitzt am liebsten oben am Mont Blanc.
Wenn am Schluss eine Schöne winkt, muss das nicht bedeuten, dass Lanz am Leben bleibt. Von „drüben“ wird uns ja auch zur rechten Zeit gewunken.
Der dritte und letzte Venedig-Roman ist bereits fertig, dann, so Gerhard Roth (Foto oben), wird der böse Gott gezeigt „und wie wir das Böse an ihm nicht wahrhaben wollen.“
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KURIER: Was zieht Sie seit Jahren nach Venedig?
Gerhard Roth: In Venedig sieht man bis in das kleinste Detail und auf engstem Raum, was der Mensch ist und wozu er fähig sein kann.
Nämlich? Würden Sie so freundlich sein und zusammenfassen?
Seine Sehnsucht nach Schönheit, die er in der Kunst ausdrückt – ebenso wie seine Grausamkeit, die er in der Justiz auslebt; den Erfindungsreichtum , wie im Arsenal, wo der Mensch Kampfschiffe am Fließband herstellt – ebenso die Lust an der Intrige ,die man zum Beispiel an den geöffneten steinernen Löwenmäulern im Dogenpalast erkennt.
Die Löwen sind nicht nur zum Angstmachen?
Sie waren da, um die Bürger zu anonymen Anzeigen zu bewegen … und der Mensch ist fähig zu Gefängnissen wie jenen unter dem Bleidach im Dogenpalast – ebenso zu den Mosaiken im Markusdom. Die Folter und die Pestopfer, der Glaube und Betrug sind Nachbarn.
Demnach gibt es Ähnlichkeiten zwischen Venedig und Wien.
In Wien ist alles nicht so schön verpackt und man muss den Dingen oft mit viel Aufwand auf den Grund gehen.
Gerhard Roth:
„Die Hölle ist leer - die Teufel sind alle hier“
Verlag S.Fischer.
368 Seiten.
25,70 Euro.
KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern