Geld oder ein Schläfchen?
Von Peter Pisa
Während Heinrich Bölls Fischer (siehe unten) lieber in seinem Boot döst, anstatt dem Geld hinterherzujagen, verlässt die "Nightingale" die Themse Richtung Schatzinsel.
Großer Baum, Spyglass Hill, Peilung ein Strich N zu NNO Skelettinsel OSO zu O. Das Barrensilber ist im Nordversteck ... 40 Jahre vorher war es das Schiff Hispaniola, an Bord der blutjunge, übermütige Jim Hawkins und der einbeinige Long John Silver.
Nicht der ganze Schatz wurde damals nach England gebracht.
Jetzt ist Silver 90, schon in Auflösung begriffen, aber die Gier bleibt lebendig. Er bringt seine Tochter dazu, gemeinsam mit Jim Hawkins’ Sohn den Rest zu holen.
Aus der Zeit
Es hat ja schon viele Fortsetzungen von Robert Louis Stevensons "Schatzinsel" (1893) gegeben. Noch nie zuvor aber hat sich jemand daran versucht, der in England – auch – als Lyriker bekannt ist: Sir Andrew Motion.
Nein, er habe keines von den Büchern der Kollegen gelesen. Schon allein deshalb, um nicht daran erinnert zu werden, dass er nicht der Erste sei. Nur Stevensons Roman sollte ihn leiten ...
"Silver", eben erschienen, ist schön geworden. Und stilistisch aus dem 21. Jahrhundert gefallen (was man nicht nur daran merkt, dass hier das Wort "Neger" verwendet wurde, während es aus anderen, wirklich alten Büchern gerade entfernt wird).
Ein bisschen Abenteuer im romantischen Gewand. Außerdem will der 61-jährige Londoner Andre Motion zeigen, dass der Himmel über dem Meer wie weiches Moos ist und der Mond groß und klar wie ein Teller. Piraten gibt’s aber auch. Gedanken übers Leben ebenso – der junge Hawkins ist nämlich intelligenter als es sein Paps war.
Kein Jugendbuch, sondern wie das Original für alle. Lichtet Anker, Söhne Neptuns, lichtet Anker!
KURIER: Ist die Bewunderung für Robert Louis Stevenson während Ihrer Arbeit größer geworden?
Andrew Motion: Ich habe ihn immer für wunderbar gehalten. Jetzt weiß ich, dass er scharfsinniger und abwechslungsreicher war, als ich ursprünglich dachte.
KURIER:
Die, die das deutsche Wirtschaftswunder mitaufgebaut haben, mochten das Wort "Wunder" ja gar nicht: Die Deutschen haben ihr Wunder selbst geschaffen, zweifellos.
Doch der zähe Wille, mit dem sich Deutschland nach dem Krieg wieder aufgebaut hat, war ein zweischneidiges Schwert. Waren Wirtschaft und Wachstum einerseits Erfolgsfaktoren, so sind sie auch fünfzig Jahre nach dem "Wunder" Quintessenz dessen geblieben, was manche naserümpfend als "typisch deutsch" empfinden: Fleiß und Gründlichkeit. Ein Bürge für Qualität. Aber welche bloß? In Deutschland kaufte man Autos, Lebensqualität war anderswo daheim.
Ordnungsprinzipien
Den Fetisch von Arbeit und Fleiß hat auch Literatur-Nobelpreisträger Heinrich Böll oft kritisiert – etwa im Roman "Ansichten eines Clowns", in dem sich Hans Schnier den kollektiven Ordnungsprinzipien entzieht und untergeht.
Ein anderes Wirtschaftswunder-kritisches Manuskript Bölls hat nun der Hanser Verlag ausgegraben und es, versehen mit Illustrationen des Franzosen Émile Bravo, als Bilderbuch unter dem Titel "Der kluge Fischer" herausgebracht. Böll schrieb seine Erzählung vor 51 Jahren als "Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral" – eine Provokation: Die Geschichte war ein Auftragswerk für den NDR ... zum Tag der Arbeit!
Bölls Erzählung über einen Fischer, der im Leben nichts weiter will, als in seinem Boot zu dösen, erinnert in groben Zügen an jene vom "Fischer und seiner Frau". Hier ist es ein Tourist, der nicht glauben mag, dass es auch das geben kann: zufrieden sein mit dem, was man hat. Bölls kluge Warnung vor überdrehtem Kapitalismus hat heute eine neue Bedeutung gewonnen.