Galerienfestival "Curated By": Wie speziell ist Wien wirklich?
Ein treibender Tanz-Beat erfüllt den Korridor der zur Galerie umfunktionierten Altbauwohnung. Auf einem Bildschirm erzählt ein Text davon, dass man sich im Wiener Club „GF“ völlig verlieren und mit Unbekannten Körperkontakt haben könne, bis man im Morgengrauen auf die Straße „ausgespuckt“ werde. Wow. Was für eine coole, abgründige Stadt dieses Wien doch sein muss.
Tatsächlich hat der US-Künstler Tony Cokes seine „Reisenotizen“ im Internet gesammelt, wie er vor seiner Installation in der Galerie Natalie Halgand freimütig bekennt. Wien ist eben nicht nur ein realer Ort, sondern auch ein Bündel an Images, Projektionen, Klischees – und als solches weltweit abrufbar.
Das Galerienfestival „Curated by“ projiziert heuer schon zum zehnten Mal die Botschaft, dass Wien ein toller Platz für zeitgenössische Kunst sei, in die Welt. Mit Erfolg: Die Zahl der Kuratorinnen und Kuratoren, die jährlich eingeladen wurden, Ausstellungen zu kreieren, geht mittlerweile in die Hunderte. Jede dieser Personen ist wiederum global vernetzt und macht Künstler, Studierende, Sammler auf die Wiener Galerienszene aufmerksam. Mit Besucher- oder Verkaufszahlen lässt sich dieser Effekt nicht adäquat messen.
Doch was kommt tatsächlich nach Wien zurück? Die heurige Ausgabe des Festivals will diese Frage insofern beantworten, als sie die geladene Kuratorenschar bat, ihre eigenen Wien-Vorstellungen zum Maßstab der Ausstellungsgestaltung zu machen. So ist ein vielschichtiges Spiegelkabinett für Blicke „von außen“ und „von innen“ entstanden.
Bei Gabriele Senn in der Schleifmühlgasse etwa suchte Kurator Georg Elben nach Echos des Wiener Aktionismus – und fand sie in abenteuerlich verschnürten Matratzen von Kerstin von Gabain oder bei Ene Liis-Semper, die in einem Video buchstäblich ein Kasperltheater um einen erigierten Penis arrangiert.
Bei Christine König nebenan regiert die „Wiener Gruppe“: Wort-Bild-Collagen sowie das Radiostück „Ophelia und die Wörter“ von Gerhard Rühm sind hier geistig verwandten Werken von Susan Howe oder Felicia Atkinson gegenübergestellt.
In der Galerie Kargl wiederum sinniert Wolfgang Kos, Ex-Direktor des Wien Museums, über die Standortfrage: Seine Schau stellt die Rolle Wiens als Transit-Ort in den Mittelpunkt und erinnert zugleich an die Aktivitäten des im vergangenen Mai verstorbenen Galeriegründers Georg Kargl. Dieser hatte noch im vordigitalen Zeitalter massiv dazu beigetragen, das Freihaus-Viertel als Kunst- und Geschäftsstandort zu etablieren.
Vielgestaltige Szene
Die Galerienszene selbst hat in den Jahren seit der Gründung des Festivals freilich selbst ihre Struktur verändert – junge Player kamen hinzu, etablierte Galeristen wie Krinzinger und Hilger errichteten Dependancen abseits der bekannten Grätzel, „Marken“ wie die Berliner Galerien Crone und Croy Nielsen eröffneten Wien-Filialen.
Für das Festival, das heuer erstmals nicht mehr unter dem organisatorischen Dach der Wiener Wirtschaftsagentur stattfindet, sondern von den Galerien selbst verwaltet wird, wird sich in Zukunft die Frage stellen, wie ein regelmäßiger Wechsel in der Ausstellerliste unter Beibehaltung des Qualitätsniveaus zu erreichen ist.
In diesem Sinn markiert „Curated by“ mit seinem Wien-Thema heuer auch einen Moment des Übergangs – zwischen der Zentralismus und Facettierung, der physischen Verankerung und der Virtualisierung dessen, was wir uns als „zeitgenössisches Wien“ vorstellen.
Info: Bis 13.10.
Unter dem Motto „Viennaline“ präsentieren 21 Galerien bis 13. Oktober Ausstellungen renommierter Kuratorinnen und Kuratoren. Der Eintritt ist frei, an Freitagen und Samstagen werden geführte Touren angeboten. Lesungen und Gespräche runden das Programm ab. Alle Orte und Termine auf www.curatedby.at