Der Doyen der österreichischen Fotografie: Erich Lessing gestorben
Von Georg Leyrer
Der österreichische Fotograf Erich Lessing ist im Alter von 95 Jahren gestorben. Mit seinem Fotoapparat hat er Weltgeschichte festgehalten. Ob vom Ungarn-Aufstand, beim jüdischen Osteuropa oder der Zeit des Wiederaufbaus im Kommunismus - die Bilder von Erich Lessing gingen um die Welt, seine Porträtaufnahmen großer Politiker wie Eisenhower oder Chruschtschow sowie wichtiger Künstler wie Herbert von Karajan machten ihn weltberühmt.
Geboren wurde Erich Lessing am 13. Juli 1923 als Sohn eines Zahnarztes und einer Konzertpianistin in Wien. 1939 emigrierte er nach Palästina, studierte in Haifa Radiotechnik und arbeitete als Karpfenzüchter in einem Kibbuz. Bereits als Kind interessierte sich Lessing jedoch für die Fotografie, bekam mit 13 Jahren seinen ersten Fotoapparat. Als Erwachsener fand er zu diesem Hobby zurück und verdiente damit sein Geld. Zuerst arbeitete Lessing als Kindergarten- und Strandfotograf, während des Krieges wurde er bei der Britischen Armee als Fotograf verpflichtet. Nach Kriegsende kehrte der nun 24-Jährige nach Wien zurück und lernte seine spätere Frau Traudl kennen.
Aus dem Archiv: Erich Lessings Lebenswerk in Bildern
International tätig
Die mittlerweile verstorbene Traudl arbeitete als Journalistin bei der amerikanischen Nachrichtenagentur Associated Press, für die auch Lessing fortan als Fotoreporter wirkte. Nebenbei arbeitete er als freier Fotograf für Zeitschriften wie „Life“, „Paris Match“ oder „Fortune“. 1951 stieß Lessing zur Magnum Agentur, die vier Jahre zuvor von Robert Capa, George Rodger, David Seymour und Henri Cartier-Bresson in Paris gegründet worden war. Das Kollektiv wollte mit seinen Arbeiten die Ereignisse auf der Welt dokumentieren und damit das Bewusstsein der Menschen schärfen. Die Mitarbeiter sahen sich selbst dabei jedoch als Künstler und Reporter.
Zwei der Agenturgründer, Robert Capa und David Seymour, kamen in den 50er-Jahren bei ihrer Arbeit als Fotojournalisten ums Leben. Lessing dokumentierte zu dieser Zeit die politischen Ereignisse im Nachkriegseuropa. Die von Lessing geschossenen Bilder, wie vom Besuch Charles de Gaulles in Algerien oder der Unterzeichnung des österreichischen Staatsvertrags am Balkon des Belvedere, sorgten weltweit für Aufsehen, mit seinen Porträts kam er zu großem Ansehen.
Ab den 60er-Jahren inszenierte der Kunstfotograf mit seinen, von ihm als „Erzählfotos“ bezeichneten Arbeiten, historische Persönlichkeiten wie Musiker, Poeten oder Physiker. Einen kompletten Satz seiner rund 60.000 Farbfotografien schenkte Lessing 2013 dem Bildarchiv der Nationalbibliothek.
Zehntausende Aufnahmen entstanden im Verlauf seiner Karriere, viele davon haben in über 60 Büchern und Ausstellungen auf der ganzen Welt ihr Publikum gefunden. Gemeinsam mit Harry Weber und Franz Hubmann bildete er das große Triumvirat der österreichischen Fotografie. Und dieses Oeuvre erfuhr bis in die heutigen Tage immer wieder eine Würdigung, wenn etwa mit Lessings detaillierten Farbaufnahmen der Sixtinischen Kapelle 2016 in der Votivkirche das berühmte Gotteshaus nachgebildet wurde, oder Tochter Hannah Lessing, Generalsekretärin des Österreichischen Nationalfonds, im Museum am Judenplatz 2015 eine Schau zum Werk ihres Vaters kuratiert hat.
Darüber hinaus wurde Lessing auch mit formellen Ehren überhäuft. Er erhielt den American Art Director's Award, den französischen „Prix Nadar“ oder den Dr.-Karl-Renner-Preis. 1998 wurde Lessing mit dem Großen Österreichischen Staatspreis für Künstlerische Fotografie ausgezeichnet, 2013 mit dem Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst. Und seit Lessing 1973 den Berufstitel Professor erhielt, unterrichtete er an Orten wie der Biennale Venedig, Arles oder der Salzburger Sommerakademie.
Erich Lessing in Zitaten
- „Ich habe mich eher mit dem Leben beschäftigt - mit der Fotografie halt auch.“ ( APA, 2008)
- „Als Fotograf tritt man mit der Welt an sich in Beziehung und lernt, sie durch das Bild besser zu verstehen.“ (Im KURIER, 2014)
- „Ich bin nicht der Fotograf mit der Kamera, ich bin der Fotograf ohne Kamera. Um ein gutes Foto zu machen braucht man zwei Augen, und Augen sind entweder begabt zum Sehen oder nicht.“ (APA, 2008)
- „Mit Freude ist man nicht durch die Kärntner Straße gegangen. Mit Wut und Trauer, mit dem ganzen Register der Gefühle, mit dem Zweifel, ob man jemals wieder mit diesen Menschen leben kann, ob diese kleine Gruppe im Café Grillparzer sich durchsetzen kann. Österreich bestand nicht aus dem Café Raimund, dem Hans Weigel, dem Café Grillparzer und dem Häussermann. Aber das war ein Nucleus, dem man sich gern angeschlossen hat. Man hat gehofft, dass ein paar Jahre später die Wunden zu heilen beginnen. Ganz können sie nie heilen. Denn irgendwo trifft man immer die Gegner, die Gegner von damals. Obwohl man bereit war, mit jenen, die nicht die Mörder waren, wieder zusammenzuleben. Aber wir haben sie heute noch unter uns, die Gegner.“ (Über die Rückkehr nach Österreich, im „Standard“, 2015)
- „Österreich, dieses Wolkenkuckucksheim, soll man sich schon bewahren, aber manchmal müsste man auch hineinstechen, dass es lebendiger wird. Ein bisschen Aufbegehren und etwas mehr geistiger Krawall würden nicht schaden.“ (In der „Kleinen Zeitung“, 2013)
- „Die Großparteien nutzen sich eben ab - wie jeder einzelne Mensch übrigens.“ (Im „profil“, 2013)
- „Ich bin sehr glücklich, die große Zeit der europäischen Politik miterlebt zu haben.“ (zu Thomas Trenkler, 2012)
- „Am Anfang haben wir geglaubt, wir könnten die Welt durch die Wahrheit verändern." (In der "Zeit", 2015)
- "Nur ein überzeugter Atheist kann die Religion verstehen." (Im "profil", 2013)