Flucht vor dem inneren Feind in den Krieg nach Afghanistan
Von Peter Pisa
„Der menschliche Körper“ ist zwar ein Kriegsroman, aber so anders als zuletzt Kevin Powers’ „Die Sonne war der ganze Himmel“ über einen amerikanischen Soldaten im Irak.
Denn das Buch des Turiners Paolo Giordanos ergänzt den (auch für ihn gültigen) Satz „Der Krieg nimmt sich, was er bekommt.“
Er fügt sinngemäß die Worte hinzu: ... aber Friedenszeiten können einen Menschen auch ganz schön kaputt machen!
Die italienischen Soldaten, die für ein halbes Jahr als Vorposten in der afghanischen Provinz Herat stationiert sind, würden gut ins Wartezimmer eines Psychiaters passen.
Stattdessen sind sie lieber in die Wüste geflüchtet, wo sie – vielleicht – erwachsen werden.
Zum Beispiel der 20-jährige Obergefreite Ietri, der von seiner Mama in der Abflughalle noch rasch eine Ohrfeige bekommt, weil er frech zu ihr war.
Oder Feldwebel René, der nebenberuflich als Callboy arbeitete und von einer Kundin erfahren hat, dass sie schwanger ist.
Oder der immer gedemütigte Mitrano, der im Glauben lebt, die Welt brauche Opfer – und er ist halt eines.
Und Militärarzt Egitto (die Hauptfigur), der Antidepressiva wie Zuckerln lutscht, weil ihn seine Eltern nie lieb hatten. Von seiner Vergangenheit wird am meisten erzählt, und das stört ein wenig das Gleichgewicht dieses wirkungsvollen Romans.
Man muss ja wirklich nicht wissen, wann die Sommersprossen von Egittos Schwester am stärksten zu sehen sind.
Plastiksackerl
Beim Amerikaner Powers, der selbst im Irak-Krieg gekämpft hatte, fand man arge Szenen, in denen etwa ein Hund mit dem Arm eines Granatenopfers durch den Sand trottete.
Ähnliches zeigt Paolo Giordano,wenn Soldaten die Körperteile ihrer Kameraden einsammeln und in Plastiksackerln aufteilen müssen.
Aber es ist „bloß“ ein einziger Angriff der Taliban, der im Roman zu überstehen ist. Der Feind wird dabei nie zu sehen sein. Leser kommen mit ihm leider nicht in Berührung.
Nur mit den Italienern, die ihre privaten Konflikte in die Einsamkeit mitgenommen haben, um einen großen Konflikt offen auszutragen. Gewinnen können sie den nicht.
Das Denken sollen sie ja einstellen, und so bleibt ihnen nur ihr Körper. Womit wir beim wenig überzeugenden Titel sind.
Auf den Körper soll man hören. Er signalisiert, wenn’s Probleme gibt. Er bekommt Fieber. Er hat Schuppenflechte. Er verlangt Fleisch und Hygiene. Und Sex, wenigstens übers Internet. Und er zerfällt in Atome. Jawohl, so ist das.
Giordano ist Teilchenphysiker. Er schaut sich das an, als wäre er im Labor. Aber jeder Roman könnte so heißen; und dieser Roman ist nicht jeder Roman: Es hämmert im Kopf, auch wenn er längst fertig gelesen ist.
KURIER-Wertung:
INFO: Paolo Giordano: „Der menschliche Körper“ Übersetzt von Barbara Kleiner. Rowohlt Verlag. 416 Seiten. 20,60 Euro.