Kultur

Filmkritik zu "Shambhala": Eine Frau heiratet drei Brüder

Von Gabriele Flossmann

Nepals Oscar-Beitrag erzählt eine außergewöhnliche Geschichte vor einer grandiosen Kulisse. Eine Frau geht mit gleich drei Brüdern eine Verbindung ein: das klingt nach einer gewagten Vierecks-Geschichte. Aber weit gefehlt. Sie lebt in einer der letzten Gegenden, wo es noch die alte Tradition der Polyandrie gibt:  In der obersten, noch bewohnten Himalaya-Region im Nordwesten Nepals. Dort gibt es sehr pragmatische Gründe für eine solche Verbindung.  Denn um Handel mit dem benachbarten Tibet zu betreiben, begeben sich einige der Männer auf langandauernde Reisen, während andere arbeitsteilig im Heimatdorf ihren Pflichten nachkommen. 

So heiratet Pema, die höchst ungewöhnliche Heldin des Films, schon zu Beginn des Films die drei sehr ungleichen Brüder Tashi, Karma und Dawa. Alles sieht nach einer glücklichen Hochzeit aus. Für Eifersüchteleien scheint kein Platz zu sein: Tashi ist ihr liebster Ehemann und die beiden sind einander offenkundig sehr zugetan. Karma ist dagegen Mönch und froh, bald wieder in sein Kloster zurückzukehren. Und Dawa, der dritte „Ehemann“, ist erst elf Jahre alt und sieht seine „Ehefrau“ eher als Mutterersatz. Nach anfänglichem häuslichen Glück trifft aber ein Brief aus Lhasa ein und Tashi macht sich auf eine monatelange Handelsreise nach Tibet.

 In der Zeit hat Pema einige Schwierigkeiten, Dawa zum Lernen zu motivieren. Doch zum Glück gibt es den engagierten Lehrer Ram Sir aus Kathmandu. Als dieser bei einer Nachhilfestunde zu viel trinkt und von Pema am nächsten Morgen nach Hause gebracht werden muss, beginnt die Dorfgemeinschaft zu tuscheln. Umso mehr, als Pema erkennbar schwanger ist: Stammt das Kind wirklich von Tashi – oder vielleicht doch von Ram Sir?

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Auch wenn der Film in einem der höchsten von Menschen besiedelten Gebiete spielt - zwischen 4000 und 6000 über dem Meeresspiegel, scheinen sich in der dünnen Höhenluft die Gerüchte noch schneller zu verbreiten: Tashi ist der Verdacht offenbar zu Ohren gekommen - und als die Männer von ihrem Handelstrip zurückkehren, ist er nicht unter ihnen. Pema beschließt daraufhin, ihn zu suchen und die Situation zu klären. Karma wird von seinem geistigen Oberhaupt mit den Worten „Ein wahrer Mönch akzeptiert die Realität und das Praktische im Leben“ dazu verdonnert, sie zu begleiten – nicht gerade zu seiner Begeisterung. Und so begeben sich die beiden auf eine Reise Richtung Tibet – und erwartungsgemäß auch zu sich selbst. Ihre Reise – quer durch eine unbarmherzige Wildnis - führt zu einer spirituellen Selbstfindung und Befreiung.

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Regisseur Min Bahadur Bham vermischt in seinem Film auf eindrucksvolle Weise die Tradition seines Landes mit der zunehmenden Verbreitung eines modernen und weltoffenen Lebens.  Zugleich zeigt er mit Pema eine weibliche Hauptfigur, die wesentlich stärker wirkt als die meisten „modernen“ Frauen. Auf die insgesamt 150 Minuten Spieldauer muss man sich auch einlassen – dann aber wartet eine lohnende Reise, die für die große Kinoleinwand wie gemacht ist. Denn natürlich sind es zunächst die wunderschönen Landschaftsbilder, die den Zuschauer gefangen nehmen. Vor einer grandiosen Kulisse werden aber auch existentielle menschliche Fragen verhandelt – weniger in großen Dialogen als in Gesten und Blicken. Das titelgebende „Shambhala“ ist übrigens ein mystisches Königreich im Buddhismus. Ein Land, in dem Mensch und Natur in Einklang sind. Gezeigt wird es in einigen, in Sepiatönen gehaltenen Traumsequenzen.

INFO: Nepal/F/NOR 2024, 150 Min. Von Min Bahadur Bham. MIt Thinley Lhamo.