Kultur

Festwochen-Chef: "Das böse Blut war nicht beabsichtigt"

KURIER: Sie haben letztes Jahr für Entrüstung gesorgt. Nun konzipieren Sie mit einem neuen Dramaturgenteam Ihre zweiten Festwochen. Eröffnen wir das Gespräch mit der Eröffnung. Nicht ganz Ihr Bier. Oder?

Tomas Zierhofer-Kin: Es ist der politische Wunsch, dass sie am Rathausplatz stattfindet. Ich finde den Platz auch ganz toll für ein Stadtfestival. Das Problem ist das Live-PR-Format: Die Veranstaltung spielt mit dem Pop – sie muss 50.000 Leute anziehen und im Fernsehen funktionieren. Die Menschen erwarten sich eine Show mit Stars. Da sind wir in einer Zwickmühle: Es ist schön, den Menschen zwei schöne Stunden zu bescheren. Und ich nehme die Menschen sehr ernst, die hinkommen, ich war auch selber jahrelang dabei. Aber die Eröffnung steht ein wenig verloren, wenn sie relativ wenig mit dem zu tun hat, was danach kommt. Ich möchte eine Eröffnung, die auch das Programm widerspiegelt.

Was ist für 2018 geplant?

Wir planen noch, und es gibt viele Gespräche. Am Anfang hat man als Intendant den naiven Glauben, dass man wüsste, wie es geht. Aber das ist nicht so. (lacht)

Sowohl in der Stadt als auch im ORF stehen die Zeichen auf Veränderung. Sie könnten also da wie dort neue Ansprechpartner haben. Das macht es schwierig.

Absolut. Da kann Bewegung reinkommen – oder es kann furchtbar werden.

Erwartet das "rote" Wien, dass die Festwochen Widerstand gegen Türkis-Blau leisten?

Nicht explizit. Ich will mich nicht auf der Banalitätsebene bewegen, so ein Festival als tagespolitische Bühne zu missbrauchen. Was hingegen beim kommenden Festivalprogramm klar ist, dass wir sehr stark die Künstlerinnen und Künstler sprechen lassen – ohne ideologischen Überbau. Denn wir haben festgestellt, dass sehr viele Künstler eine sehr unangenehme Erscheinung unserer Zeit interessiert, nämlich das Phänomen Angst und das Schüren von Angst. Sie beschäftigen sich damit, was dieses Schüren mit einer Gesellschaft macht. Viele werden sich aber auch damit auseinandersetzen, was Demokratie ist, gewesen ist – und sein könnte.

Wird Angst das offizielle Generalthema?

Nein, das ist zwar ein thematischer roter Faden, aber wir werden keinen übergeordneten Diskurs über alles legen. Wir sind 2017 in die Falle getappt, dass sehr viel aus diversen postkolonialen Bubble-Diskursen in die Texte des Programmhefts hineingetragen wurde. Das war nicht produktiv dafür, die Menschen neugierig zu machen. Mir geht es darum, dass Kunst das ist, was die politische Realität nicht ist: Sie kann vielfach interpretiert werden, sie hat Mehrwert dort, wo man etwas nicht mehr beschreiben kann. Ich glaube, dass Kunstwerke generell politisch wirken können: auf eine Art, die Politik nicht vollbringt. Wenn es nämlich um das Infragestellen von Denksystemen geht. Kunst könnte uns zeigen, wie eine Welt sein kann. Oder den Blick auf die schwierige globale Situation verändern.

Aber das ist ja schon politisch. In einer Welt, in der der Horizont derzeit so weit wie möglich eingeengt wird – aufs eigene Land, die eigene Stadt, die eigene Meinung – ist eine Erweiterung des Horizonts ein Gegenprogramm.

Das stimmt. Und je starrer die politischen Systeme werden, desto deutlicher ist der Unterschied zur Kunst. Kunst ist nie starr.

Aber bei der Erstarrung ist man viel schneller als gedacht. Bei Ihrer ersten Festwochen-Ausgabe hatte man den Eindruck, dass es eine Verkrustung gegeben hat – und zwar in eine kompromisslose Weltoffenheit hinein. Was nicht postkolonial war, hatte keine Chance, ins Programm aufgenommen zu werden. Ein Fehler?

Das war sicherlich in Summe ein Fehler. Es war auch eine Frage der Kommunikation. Mein Auftrag war auch, neues Publikum zu gewinnen. Es war relativ leicht anzusprechen, es kam. Allerdings haben sich viele Menschen, die die Festwochen über Jahre besucht haben, durch kuratorische, diskursive Nischen nicht mehr angesprochen gefühlt. Sie haben das als offensive Haltung gegen sich empfunden. In diese Falle sind wir getappt. Ein kommunikativer Fehler. Aber das wollen wir eben nicht!

Getappt? Die Falle haben die Festwochen selbst aufgestellt.

Es wurden wichtige Fragen gestellt, etwa in der Akademie des Verlernens. Es war der Plan, sehr konkret nur scheinbar abgehobene Zukunftsthemen in eine Diskussion einzuweben. Dass das nicht geschehen ist, war ein Problem. Und es gab noch mehr Probleme, die wir 2018 abstellen werden. Aber wir verraten dabei nicht den Kurs, den wir eingeschlagen haben. Es wird einen großen Mix unterschiedlicher Medien geben. Und ja: Es wird Theater geben!

Mehr als im vergangenen Jahr?

Ja. Es wird auch ein paar große Namen geben. Nein, Robert Lepage ist nicht darunter. Aber ich habe versprochen, noch keine Namen zu nennen.

Hätten Sie 2017 angesichts all der Probleme nicht irgendwann die Reißleine ziehen müssen?

Das ist bei einer ersten Ausgabe schwierig. Es war meinerseits auch ein großes Vertrauen da. Die Reißleine zu ziehen wäre problematisch gewesen, weil dann ein gewisser Teil des Programmes weggebrochen wäre.

Haben Sie es überlegt?

In manchen Momenten.

Kürzlich traf die erste Programmankündigung für 2018 ein. Wir haben jedes Wort verstanden. Wollen Sie also das Publikum zurückgewinnen?

Absolut. Wir haben vor der Veröffentlichung sehr viele Leserunden gehabt. Es geht um zwei Dinge. Die Texte sollen möglichst keine Barrieren bilden. Es ist ja pervers, Postkolonialismus zu thematisieren – und dann über Sprache genau jene auszugrenzen, die gerade dabei sind, die Sprache zu lernen. Und zweitens soll den Menschen Lust auf die Produktionen gemacht werden.

Sie wollen ein breites Publikum ansprechen – und propagieren als Erstes das Clubfestival "Hyperreality". Nur wenige werden die Acts kennen. Ist das nicht ein gewisser Widerspruch?

Nein. Wir wollen in die Jahreskalender der Fachpresse reinkommen. Es gibt in der Szene sehr viel Publikum, das das Jahr nach diesen Festivals plant. Und die R’n’B-Sängerin Kelela ist durchaus ein bekannter Name.

Auch in Musikverein und Konzerthaus gibt es Festivals – etwa das Internationale Musikfest, bei dem die Festwochen traditionell Partner waren. Das haben Sie zum Missfallen der dortigen Chefs beendet. War das nötig?

Das böse Blut war nicht beabsichtigt. Wir haben nicht mehr so viel Geld wie früher – und mit dieser Kooperation ein Relikt aus den 50er-Jahren. Anfangs wollte man die Kräfte der Stadt bündeln, um nach Austrofaschismus und Nationalsozialismus den Menschen zu zeigen, dass wir weltoffen sind. Und man wollte den Menschen hier etwas bieten, das es sonst unter dem Jahr nicht gab. Heute ist das anders. Die beiden Konzerthäuser planen über Jahre hinaus und geben dann dem Frühsommerprogramm den Stempel "Festival" drauf. Als ich gekommen bin, konnten mir die beiden Chefs schon sagen, was ich 2018, 2019, 2020 bei den Festwochen haben werde. Warum muss ich das machen? Das hat für mich so bei den Wiener Festwochen keinen Sinn mehr, das ist wie mit dem Gummibaum ins Gewächshaus gehen. Mir wurde vorgeworfen, dass ich etwas zerstöre. Ja! Ich habe vorgeschlagen, etwas Einzigartiges entstehen zu lassen.

Wie zum Beispiel?

Ich wäre wahnsinnig gerne bereit, mit Musikverein und Konzerthaus darüber nachzudenken, was die Ausnahmesituation Festival heute bedeuten könnte. Was könnte – vielleicht auch nur für eine Woche oder ein Wochenende – im Bereich klassische Musik möglich sein? Und wie könnte man neue Leute dafür begeistern? Ich habe für 2019 und 2020 ein paar Ideen, die ich erst den Häusern kommunizieren möchte.

Was haben Sie mit dem Musikfest-Geld gemacht?

Wenn man so will, ist "Hyperreality" daraus entstanden.

Sie haben es also der Klassik weggenommen, um es der Clubkultur zu geben, die es auch ohne Festwochen gibt. Ist das nicht auch ein "Gummibaum"?

Nein. Die Clubkultur war in Wien schon einmal besser. Es wurden zuletzt zu wenig künstlerisch wichtige Statements gebracht.

Aber kommerziell orientierte und auf wackeligen Beinen stehende Clubs werden sich dann nicht freuen, wenn die hochsubventionierten Festwochen ihnen ins Geschäft eingreifen.

Das war durchaus eine Überlegung – und ich würde auch gerne mit den Clubs arbeiten. Die Festwochen könnten dann auch unter dem Jahr präsent sein.