Kultur

Die Kunst des Jobrettens

Eigentlich kennt der Kunstmarkt, der zuletzt verlässlich mit Rekordpreisen Schlagzeilen machte, keine Krise. Und doch haben die Nachwirkungen der Finanzkrise längst Einfluss auf die Kunst.

Das jüngste, durchaus überraschende Beispiel stammt aus Österreich, und es ist ein "dramatischer Wendepunkt", wie der betroffene Gründer von bauMax, Karlheinz Essl, selbst sagt. Er will mit dem Verkauf seiner Kunstsammlung seiner Firma über finanziell schwierige Zeiten hinweg helfen: 7000 Kunstwerke gegen 4000 Jobs. Der Käufer soll die Republik Österreich sein. Der Erlös soll bauMax helfen, einen Sanierungsplan zu erfüllen. "Damit könnte man zwei Fliegen auf einen Schlag erledigen", sagt Essl zum KURIER. Der Kapitalbedarf des Konzerns ist hoch, von 200 Mio. Euro ist derzeit die Rede.

Der Firmen- und Museumsgründer stellt klar, dass nur die Übernahme der gesamten Sammlung infrage kommt: "Die österreichische und die internationale Kunst muss zusammen sein, weil österreichische Kunst dadurch eine andere Bedeutung hat."

Die Republik hat ein offenes Ohr: "Wir werden verhandeln", sagte ein Sprecher von Kulturminister Josef Ostermayer zum KURIER. "4000 Arbeitsplätze und 7000 wichtige Werke zeitgenössischer Kunst zu erhalten, ist etwas, das der Minister gerne machen würde. Er wird versuchen, eine Lösung zu finden."

Runder Tisch

Man will "so bald wie möglich" einen runden Tisch mit der Familie Essl, Banken, dem Sozial- und dem Finanzministerium sowie dem Land Niederösterreich einberufen, hieß es weiter. "Wir hoffen, dass eine finanzierbare Lösung gefunden wird." Im Büro von Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll bestätigte man, am Montag von Essls Wunsch informiert worden zu sein.

Wie Essl im KURIER-Gespräch sagt, solle nun eine gemeinützige Stiftung errichtet werden, die den Erhalt von Kunst und Museum "für alle Zeiten" gewährleistet. Ein Orientierungspunkt könnte die Leopold Museum Privatstiftung sein. Der von Rudolf Leopold gesammelte Bestand wurde 1994 auf umgerechnet 575 Mio € geschätzt. Der Bund zahlte umgerechnet 160 Millionen Euro. Die Sammlung ging damit nicht in Bundesbesitz, sondern in eine Stiftung über. Diese verfolgt den Zweck, die Sammlung zu erhalten und "durch den Betrieb eines Museums zugänglich zu machen". Zusätzlich finanzierten Bund und Stadt Wien das 29 Mio. Euro teure Museumsgebäude und stützen den Betrieb mit jährlich rund 2, 7 Mio. €.

Finanzieren

Bei der Gründung des 1999 eröffneten Museums in Klosterneuburg war von Unterstützung durch die öffentliche Hand "überhaupt nicht die Rede", beteuert Essl. "Vor der Krise war bauMax ein hochprofitables Unternehmen, und wir waren der Meinung, dass durch die Erträge das Museum finanziert werden soll. So ist es ja auch die ganze Zeit gelaufen." Obwohl die Sammlung in eine Privatstiftung eingebracht wurde, haftet bauMax nun aber mit den Kunstwerken gegenüber Gläubigern.

Dass Kunstsammlungen von finanziellen Krisen betroffen sind, ist international derzeit keine Seltenheit. Zuweilen sehen auch öffentliche Stellen in Kunstverkäufen den letzten Rettungsanker: So war die Pleite-Stadt Detroit nah dran, ihre wertvolle Sammlung zu versteigern. In letzter Minute sprangen private Geldgeber ein. Auch die Auktion von 85 Miró-Werken aus portugiesischem Staatsbesitz wurde im Februar in letzter Sekunde abgeblasen. Die Sammlung stammt aus einer Bank und war 2008 in den Besitz Portugals gekommen. Mit dem Verkauf wollte das Land die Kosten vergangener Bankenrettungen einbringen.

Mit 86 Millionen Euro steht die rund 7000 Werke umfassende Sammlung von Karlheinz und Agnes Essl in den Büchern, berichtet trend. Der Verkehrswert, heißt es, könnte das Dreifache betragen.

Laut Karlheinz Essl könne man über Werte „im Augenblick gar nicht reden“ – ein Verkauf am freien Markt ist für ihn nicht denkbar. „Allein bei unseren zehn wichtigsten Künstlern besitzen wir das Zehnfache dessen, was in den großen Auktionshäusern pro Jahr auktioniert wird“, sagt der Sammler. „Der Markt ist ja nicht aufnahmefähig.“

Käme die Essl-Sammlung geballt auf den Markt, würde das das Preisniveau drücken und damit Künstlern, Galerien und Auktionshäusern die Lebensgrundlage entziehen, warnt der Sammler.
Und aufgrund der umfangreichen Bestände internationaler Gegenwartskunst – das Ehepaar Essl wurde vom Magazin Art News im Jahr 2009 unter die 200 bedeutendsten Sammler weltweit gereiht – hätte eine Liquidation der Sammlung auch Auswirkungen auf den globalen Kunstmarkt.

Österreich und die Welt

Wie derzeit die Ausstellung „Made In Austria“ im Essl Museum Klosterneuburg zeigt, ist die Sammlung ein großes Reservoir österreichischer Kunst seit 1945: Hochkarätiges von Arnulf Rainer, Maria Lassnig und Franz Ringel, aber auch von Hundertwasser, Max Weiler und Hermann Nitsch und vielen anderen findet sich darin.

Ab 1990 sammelte das Ehepaar Essl auch Internationales. Neben Werken hoch gehandelter Größen wie Georg Baselitz, Anselm Kiefer oder Neo Rauch kamen so auch Ausläufer diverser Kunsttrends in die Sammlung – von zeitgenössischen Arbeiten aus Indien, Australien und China bis zu Werken jüngerer Künstler aus Großbritannien und den USA.

Gewiss nicht alles davon ist seitdem im Wert gestiegen. Sollten Teile der Sammlung substanziell zu Geld gemacht werden, müssten aber vorrangig Hauptwerke und nicht „aussortierte“ Werke zum Verkauf gelangen.

Privatsammler würden sich erst mit Kunst schmücken und dann auf die öffentliche Hand hoffen, geht ein Stammtisch-Argument. Dem kann man entgegenhalten, dass fast alle Sammlungen, an denen sich heute die Öffentlichkeit erfreut, irgendwann privat waren. Und man muss dazu nicht bis zur Familie Medici in Florenz, zu den Habsburgern oder zu Herzog Albert von Sachsen-Teschen, dem Gründer der Albertina, zurückgehen.

In Deutschland wäre die Kulturlandschaft etwa ohne das 1816 von Johann Friedrich Städel gegründete Kulturinstitut, auf dem das heutige Städel Museum Frankfurt basiert, um vieles ärmer. Der Kölner Universitätsrektor Franz Wallraf (1748–1824) und der Kaufmann Johann Heinrich Richartz (1795–1861) standen als Bürger an der Wiege des Wallraf-Richartz-Museums, heute das älteste städtische Museum Kölns. Das 1902 gegründete Folkwang Museum, das Sprengel Museum Hannover oder das Kölner Museum Ludwig gehören allesamt in die Reihe jener "Sammlermuseen", in denen Staat oder Gemeinden früher oder später eine Rolle zu spielen begannen. Da die öffentlichen Stellen für den Aufbau großer Kunstsammlungen zuletzt immer weniger Geld übrig hatten, sind Kooperationen mit Privatsammlern zum Muss geworden.

Die Sammlung Essl in Klosterneuburg umfasst annähernd 7.000 Werke und zählt zu den größten und bedeutendsten privaten Sammlungen für zeitgenössische Kunst in Europa. Praktisch alle wesentlichen Kunstströmungen Österreichs sind mit Schlüsselarbeiten seit 1945 vertreten, aber auch internationale Pendants.

In den 1970er-Jahren beginnen Agnes und Karlheinz Essl, die einander in Amerika kennengelernt hatten, zeitgenössische Kunst zu sammeln. Werke von Friedensreich Hundertwasser und Kurt Moldovan markieren den Beginn. In den 1980er-Jahren wächst die Privatsammlung zur bedeutendsten Sammlung österreichischer Nachkriegskunst, den Kern bildet österreichische Kunst ab 1945 mit Werken u.a. von Maria Lassnig, VALIE EXPORT, Arnulf Rainer, Max Weiler, Markus Prachensky, Künstlern des Wiener Aktionismus wie Hermann Nitsch und Günter Brus, Malerei der 1980er-Jahre bis zur jüngeren Generationen wie Elke Krystufek und Clemens Wolf.

Museum

Die Ausstellungen der Sammlung finden sowohl im Essl Museum (Eröffnung 1999) als auch im Schömer-Haus, der Firmenzentrale von bauMax (Eröffnung 1987) in Klosterneuburg statt. Beide Häuser wurden vom österreichischen Architekten Heinz Tesar geplant. Seit Beginn der 1990er-Jahre wird auch verstärkt international gesammelt. Die Sammlung umfasst weiters Positionen zeitgenössischer Kunst aus Europa, den USA, Australien und Asien. Das zur Gänze privat finanzierte Museum versteht sich auch als Experimentierfeld für junge Kunst. Im Wechsel werden einmal jährlich „emerging artists“, junge, am Markt noch nicht etablierte Kunst, und die Preisträger des „Essl Art Awards CEE“ präsentiert.

Über Besucherzahlen und finanzielle Details hielt sich das Sammlerpaar stets bedeckt. Im Zuge der bauMax-Krise hat Karlheinz Essl nun die Sammlung der Republik angeboten. Kolportiert wird ein Buchwert von 86 Millionen Euro.

Karlheinz Essl: „Meine Frau und ich sind bereit, die gesamte Sammlung der Republik zu übergeben, wenn wir damit bauMax und somit rd. 4.000 Arbeitsplätze allein in Österreich retten können. Wir haben über fünf Jahrzehnte diese Sammlung mit viel Herzblut aufgebaut. Heute wird die Sammlung Essl national und international als ein Musterbeispiel privater Initiative zur Darstellung, Erhaltung und Vermittlung von zeitgenössischer Kunst wahrgenommen. Nun sind wir an einem dramatischen Wendepunkt angelangt. Es geht nicht nur um die Kunstsammlung, deren Zerschlagung zu einem unwiederbringlichen Wertverlust in der österreichischen Kulturlandschaft führen würde, es geht um rd. 4.000 Arbeitsplätze, davon 160 Menschen mit Behinderung, allein in Österreich. Ich möchte daher die gesamte Kunstsammlung der Republik Österreich anbieten und damit zwei Rettungsaktionen einleiten: Zum einen könnte mit dem Erlös der Kunstsammlung und der Mithilfe der österreichischen Banken, bauMax in Österreich und in wesentlichen Ländern saniert und erhalten werden. Zum anderen muss es gelingen, die wichtigste Sammlung österreichischer Gegenwartskunst seit 1945 für unser Land und seine Menschen, für alle Zeiten zu erhalten. Mit etwas gutem Willen ist das sicher auch möglich.“

Seit Jahren schon steht die Männerdominanz im Kunstbetrieb auf der Anklagebank. Und so überrascht es, dass Agnes Essl, die neben ihrem Mann Karlheinz die Entwicklung der Kunstsammlung und des Klosterneuburger Essl-Museums stets aktiv mitgestaltete, erst jetzt, zum 15. Bestandsjubiläum des Museums, eine eigene Ausstellung in der großen Galerie des Hauses kuratiert.

Andere Sicht

„Die andere Sicht“ (bis 21.9.) ist eine dezidiert persönliche, auf 27 Künstlerinnen fokussierte Schau, die sich mit einer zweiten Jubiläumsausstellung zu einem Rundgang schließt: Unter dem Titel „Made In Austria“ (bis 24.8.) zeigt Karlheinz Essl, was ihm in der österreichischen Kunst – und in der eigenen Sammlung – besonders bedeutsam scheint.

Als ausbalanciertes Ying-Yang darf man sich die Präsentation, die nicht zuletzt den Stellenwert der Sammlung Essl als Reservoir österreichischer Kunst hervorstreicht, allerdings nicht vorstellen: Viele Schräglagen werden durch Auswahl und Hängung teils unterschwellig, teils bewusst bestätigt.

Abstrakte Großformate – Karlheinz Essl zeigt in einem zentralen Raum Hollegha und Prachensky neben Mikl, Brandl und Scheibl – fehlen bei Agnes Essl etwa ganz: Die ausladende malerische Geste gehört traditionell zu einem männlichen Künstler-Selbstverständnis. Viele Künstlerinnen probierten es gar nicht erst, hier in Konkurrenz zu treten.

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Zwänge und Vorlieben

Überhaupt sind in Agnes Essls Auswahl oft von außen auferlegte Grenzen sichtbar: Franka Lechners Bildteppiche und Gudrun Kampls mit Musterstoff umrahmte Bilder lassen sich etwa als ironische Statements zu Handarbeit und Dekor verstehen, Werke von Xenia Hausner und Deborah Sengl als ein Ausloten von Inszenierung und Maskerade.

Am Ende ließ sich die Sammlerin aber nicht von feministischen Diskursen, sondern von individuellen Präferenzen leiten. Der Wunsch, hier Brücken zu bauen und Alt und Jung, Bekannt und Unbekannt zusammen zu bringen, geht dabei nicht unbedingt auf: Einige jüngere Positionen wirken gegenüber einer Maria Lassnig, Marie-Luise Lebschik oder Birgit Jürgenssen zu leichtgewichtig.

Karlheinz Essl hatte es hier leichter, zeigt er doch nur etablierte Größen (drei Künstlerinnen, Valie Export, Martha Jungwirth und Lassnig, sind da wie dort vertreten). Dabei konnte er auf einen Bestand von Meisterwerken zurückgreifen. Wobei die Frage, inwiefern „Meisterschaft“ letztlich die Erfindung eines männerdominierten Kunstbetriebs ist, noch ausführlich diskutiert werden muss.