Kultur

Eine Reise ins Delirium

Jede Zugreise hat üblicherweise ein Ziel. Doch was tun, wenn das Ziel vor den Augen des Reisenden immer mehr verschwimmt, oder gar Kilometer für Kilometer weiter in die Ferne zu rücken scheint?

Das Burgtheater widmet sich in seiner neuen Studioproduktion einem der großen Außenseiter der russischen Literatur und bringt Wenedikt Jerofejews fiebriges Roman-Poem "Die Reise nach Petuschki" auf die Bühne des Vestibüls.

"Fahr nach Petuschki, fahr doch! Petuschki – das ist deine Rettung und deine Glückseligkeit. Fahr los!“ heißt es, als Hauptfigur "Wenja" (gespielt von Daniel Sträßer) am Kursker Bahnhof von Moskau steht. Er will seine Geliebte besuchen und hat sich für die Zugfahrt (im Vestibül dauert sie 1:15 Minuten) jede Menge hochprozentigen Alkohol eingepackt.

Dementsprechend trinkt sich Wenedikt immer mehr ins Delirium. Was ihn nicht davon abhält, mit den Mitreisenden über die Sozialdemokratie zu streiten, oder zu erörtern, ob Goethe ebenso ein Alkoholiker gewesen sei wie Schiller. Für das Zugticket gibt der Profi-Säufer und Ex-Brigadier im Fernmeldewesen keine Kopeke aus. Denn: "Im Grunde genommen hat auf der Strecke nach Petuschki keiner Angst vor den Kontrolleuren, weil alle ohne Fahrschein sind". Warum sie keine Angst haben brauchen? Der Schaffner will gar kein Geld für die Fahrt, sondern lässt sich mit Wodka abfinden. Damit kann Wenedikt dienen.(Runterscrollen um weiterzulesen)

Szenenbilder aus "Die Reise nach Petuschki"

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Wenedikt Jerofejew (1938 - 1990) teilte mit seiner desperaten Hauptfigur nicht nur den Vornamen, sondern auch den Alkoholismus. Sein 1969 verfasster Roman, der erst 1988 in Russland veröffentlicht wurde, war in der Sowjetunion lange verboten. Zu unbotmäßig waren die surrealen Inhalte, aber auch die Schilderungen des stupiden Arbeitsalltags in der Planwirtschaft. Angepasstheit sucht man in dem Text vergeblich. Selbst der Zug scheint nicht in die korrekte Richtung zu fahren. Letztlich stellt sich alles überhaupt als reine Wahnvorstellung heraus.

Drumherum

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"Wenja" ist zwar der Protagonist des Romans, durch die zunehmende Benebelung spielen seine Halluzinationen allerdings zusehends die Hauptrolle. Und für dieses Drumherum sorgt auf der Bühne Jasna Fritzi Bauerim Alleingang.

Die quirlige Schweizerin spielt sämtliche Nebenfiguren und Fabelwesen, steuert mit einem Overhead-Projektor das Licht und bemalt die darauf liegenden Folien. Bauer wechselt immer wieder die Verkleidung, versorgt den Reisenden literweise mit Alkohol, verteilt die Requisiten auf der Bühne und lässt es sogar schneien. Kurz: Sie verkörpert gewissermaßen "das Theater" - zumindest an diesem Abend. Noch wichtiger: Sie unterstützt die lethargisch wirkende Hauptfigur nicht nur als Helferlein, sondern mit enormer Bühnenpräsenz.

"Yeah! Bewältigung!"

Felicitas Braun setzt das Collagenhafte des Romans in ihrer ersten Regiearbeit am Burgtheater mit viel Fantasie und Mut zu improvisiert wirkenden Einfällen um. Musikalisch untermalt wird das skurrile Nicht-Geschehen mit Ukulele-Klängen und Liedern aus der russischen Folklore ("Kalinka") und aus der Popkultur ("All the Things She Said" von t.A.T.u.). Was "Reise nach Petuschki" zugleich zum Lob und zum Abgesang auf die rauschhafte Jugend macht. "Yeah! Bewältigung!" skandiert Daniel Sträßer immer wieder.

Hier und da stockt die Zugfahrt etwas - wenn etwa die Theorien zur Bekämpfung von Schluckauf allzu sehr ausufern. Der Performance-Charakter der Inszenierung lässt den Schauspielern aber ausreichend Raum für Nachschärfungen.

Ein Hinweis noch: Früher kommen! Vor dem Beginn der eigentlichen Aufführung hält Jasna Fritzi Bauer einen erfrischenden Vortrag über "Das Bild der Eisenbahn in der russischen Literatur". Nüchtern wirkt an diesem Abend nicht einmal der wissenschaftliche Text eines Slawisten und Osteuropahistorikers.

KURIER-Wertung:

INFO: "Die Reise nach Petuschki" nach Wenedikt Jerofejew. Burgtheater Vestibül. Termine: 2., 23. und 28. 3. 2014, jeweils um 20 Uhr

Sonntag, 02.03.2014 | 20.00 UhrVestibülKarten

Sonntag, 23.03.2014 | 20.00 UhrVestibülKarten

Freitag, 28.03.2014 | 20.30 UhrVestibülKarten

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