Eine Frage der Ehre: Der Boxer, der nicht siegen durfte
Von Peter Pisa
Auf Dutzenden Seiten findet ein Boxkampf statt. Es ist der historische Kampf vom 9. Juni 1933 um den Titel des Deutschen Meisters im Halbschwergewicht.
Wie er von Stephanie Bart beschrieben wird (einer 48-jährigen Ethnologin, die ein Jahrzehnt als Rikscha-Taxifahrerin in Berlin ihr Geld verdient hatte, 20 Euro die halbe Stunde) ... wie sie hier im dokumentarischen Stil etwas sichtbar macht, wofür man bisher blind war ...
... das ist jeder aktuellen Boxveranstaltung im TV vorzuziehen.
Man steht in "Deutscher Meister" mitten im Ring, aber man spaziert auch durchs Publikum, zu Fans, Betreuern, Punkterichtern, A...löchern. Es werden "Warme Wiener" verkauft. "Eskimo-Eis" gibt’s auch schon.
Mittelfinger
Hitler ist kürzlich Reichskanzler geworden. Die Berliner gehen zur "Bücherbrennung" wie auf den Jahrmarkt. Juden wurden zunehmend ausgegrenzt, auch aus dem Boxverband. Gegen Johann Wilhelm Trollmann aber fehlte noch die Handhabe.
Er war ein Sinto aus Niedersachsen, und den Nazis blieb die Möglichkeit, ihn als "Zigeuner" zu beschimpfen, als Gybsi oder Gipsi – so genau wusste man nicht, wie das Wort geschrieben wird.
In "Mein Kampf" hatte Hitler erklärt, der Boxsport sei das Richtige für "Arier", und insofern konnte "Troll" der Diktatur kurzzeitig die Faust mit ausgestrecktem Mittelfinger zeigen.
Man musste ihn boxen lassen. Die Zuschauer liebten ihn. Er war fesch, ein brillanter Techniker und ein Showmann, der tänzelte wie später Muhammad Ali. (Es existieren wenige Filmsekunden eines Kampfes, die sich Stephanie Bart angesehen hat – wie sie dem KURIER verriet.)
Es gab aber die Möglichkeit, ihn mittels Fehlurteils zum Verlierer zu erklären.
Beim Meisterschaftskampf gegen Adolf Witt wurde vorsorglich der Siegeskranz aus der Halle gebracht: Ein Sinto passte nicht zur nationalen Ehre. Besser passten Verrat und Genickschuss.
Witt war stehend k. o., die Rassenfrage war sozusagen zerschlagen, trotzdem wurde Witt zunächst zum Sieger erklärt, unter Protesten des Publikums hieß es dann, Trollmann habe zwar gewonnen, doch wegen "unmännlicher" Freudentränen den Titel verwirkt.
(Seine Verwandten bekamen den Meistergürtel 1993 symbolisch überreicht.)
Flanke
Im nächsten (und letzten) Kampf wurde ihm untersagt, sich zu bewegen! Er ließ sich, breitbeinig stehend, zu Boden boxen.
Und verabschiedete sich von der Farce mit seiner berühmten Flanke über die Ringseile.
Im KZ Wittenberge wurde er von der SS immer wegen der Boxerkarriere verprügelt, ehe er 1944 zurückschlug; und erschlagen wurde.
Stephanie Bart hat "nur" übers Boxen geschrieben, und es wird finster, es wird schwarz, aber wir sehen klar; und werden das Gelesene nie vergessen.
KURIER-Wertung: