Kultur

Eine Discokugel in Mekka

Ich habe nichts zu sagen, nur zu zeigen", schrieb der Philosoph Walter Benjamin (1892–1940)in seinem unvollendet geblieben Opus magnum, dem "Passagenwerk". Aus Text- und Zitatblöcken sollte sich darin eine umfassende Geschichte des 19. Jahrhunderts herauskristallisieren.

Die Künstlerin Anna Artaker und die Philosophin Meike S. Gleim haben sich Benjamins Ideen und Methoden zu eigen gemacht und in die Gegenwart transferiert.

Einleuchtend

In ihrem Projekt "Atlas von Arkadien", das bis 17. Mai im Schauraum "xhibit" an der Akademie der Bildenden Künste Wien zu sehen ist, findet das Prinzip "Zeigen statt Sagen" auf überzeugende Weise Anwendung: Mit Montagen, Bildtafeln und Objekten vermitteln die Künstlerinnen Beobachtungen zum modernen Leben, insbesondere in Großstädten, auf klare und unmittelbare Weise.

Was Benjamin am Paris des 19. Jahrhunderts festmachte – etwa, dass die Struktur der Plätze und Boulevards zur Kontrolle der Bevölkerung und Beherrschung von Protesten dient – findet sich bei Artaker und Gleim durch Bilder aus Bangkok und Seattle aktualisiert.

Besonders gewitzt arbeiten Artaker und Gleim mit formalen Ähnlichkeiten: Zum Passagenwerk-Kapitel "Künstliche Sonnen" verbinden sie das Bild einer Discokugel etwa mit einer Luftaufnahme der Kaaba in Mekka, die vom Strom der Pilger umkreist wird; ein Foto der bohnenförmigen, verspiegelten Skulptur des Künstlers Anish Kapoor, die heute ein Wahrzeichen von Chicago ist, findet sich neben dem Bild eines halbkugelförmigen Überwachungsspiegels.

Geforscht, gefunden

Hinter den Paarungen steht die Idee, dass sich in der Assoziation ein "Mehrwert" an Information über die bestehenden Verhältnisse und ihre Geschichte vermitteln lässt. Außerdem ist die Präsentation dem "Mnemosyne-Atlas" des Kunsthistorikers Aby Warburg (1866–1929) geschuldet: Auf Schautafeln mit Bildbeispielen demonstrierte dieser, dass die Menschheit immer wieder zu ähnlichen Bild-Formen fand.

Auch Warburg zeigte lieber, als zu reden – und inspirierte die Wissenschaft bis heute massiv. Der "Atlas von Arkadien" , der als Projekt der "künstlerischen Forschung" gefördert wurde, zeigt exemplarisch, wie solches Denken und Forschen mit und in Bildern heute funktioniert.