Ein Vater, unbemerkt wie ein Schirmständer
Von Peter Pisa
Die Krimis der Amaryllis Sommerer sind ja keine, die beim Lesen bloß so durchrutschen. Der Stalker z. B., der in "Selmas Zeichen" ein Buch lang Blumen vor die Tür der neuen Mieterin legte, war sogar für die Leser schwer abzuschütteln.
Trotzdem darf man froh sein über Sommerers mutigen Sprung in die 1950er-, 1960er-Jahre zurück: In Wien-Ottakring begegnet man einem kleinen Mann, der sich manchmal wie ein Schirmständer gefühlt hat. Nicht vorhanden irgendwie.
Es ist ihr Vater.
Überfordert
"Wie das Leben geht" ist die späte Wertschätzung einer Tochter, die einen zeitweise zum Heulen bringt: Diese Generation hat so viele Väter hervorgebracht, die – von außen betrachtet – niemand und nichts waren.
Kein Kriegsverbrecher und kein Held, zur falschen Zeit am falschen Ort geboren, verloren, vergessen, nicht abgeholt, immer daneben und vorbei, zu früh, zu spät.
"Überfordert von den Zeiten des Wiederaufbaus, die geradezu zum Glück verpflichtet haben."
Vom Heulen wird der Kopf leichter, und dann erlaubt man sich die Frage: Also wie geht denn das Leben?
"Es kann auch gut gehen!", antwortet Amaryllis Sommerer im KURIER-Gespräch.
Wärmelampen
Der Vater im Roman, der Franz, war in jungen Jahren ein Kartendippler mit Sitz in der Halbwelt bzw. in der Vegas-Bar.
Was er, als er die große Liebe fand, ganz bestimmt nicht sein wollte.
Der Beruf des Vertreters für Wärmelampen war dann letztlich auch nicht der Triumph im Kampf um ein gutes Leben.
Der Franz ist seit 30 Jahren tot. So lange hat es gedauert, bis Amaryllis Sommerer diesen Roman schreiben konnte. Bis sie sich dem Vater stellen und ihn umarmen konnte.
Sie hat es – in ihrer unaufdringlichen, leisen Art – auch für andere Familien festgehalten: Vaters Leben mag zwar nicht gelungen gewesen sein.
Aber ganz farblos, ereignislos, ganz ohne glückliche Momente war es nicht.
Aus heutiger Sicht: Sie hätte es ihm wohl lieber direkt gesagt. Allerdings würde es dann dieses wertvolle Buch nicht geben.
Amaryllis Sommerer:
„Wie das Leben geht“
Picus Verlag.
268 Seiten.
24 Euro.