"Ein Tropfen Zeit": Science-Fiction mit einem Drogenexperiment
Von Peter Pisa
Kann sein, dass in der Droge Affenhirn ist. Genau weiß man das nicht.
Jedenfalls hat ein Londoner Biophysiker das Gebräu in der zum Labor umfunktionierten Waschküche seines Hauses in Cornwall zubereitet. Dort regnet es sehr oft, und der Nebel überfällt das Land vom Meer. Also hat man viel Muße für einen Schluck und für einen Ausflug ins 14. Jahrhundert.
Diese Zeitreise Daphne du Mauriers ist weniger bekannt. Berühmt wurde die Engländerin durch Verfilmungen ihrer Geschichten "Rebecca", "Die Vögel", "Dreh dich nicht um" (= Wenn die Gondeln Trauer tragen).
"Ein Tropfen Zeit" ist Science-Fiction. Nicht routiniert, sondern auch für die Autorin ein umsichtiges Herantasten. Es war Daphne du Mauriers vorletzter Roman – im Original "The House on the Strand", 1969.
In der Neuausgabe ist der Text mit Ölbildern unterlegt, die bloß ein Teehäferl zeigen, einen Tunnel, eine Tür ... und damit das Unheimliche im Alltäglichen betonen.
Der Freund des Biophysikers gibt sich als Versuchskaninchen her. Er nimmt die Droge, und wo er geht und wohin er geht, dort ist er – und zwar zweifach, weil auch 600 Jahre vorher.
Sehnsucht
Er ist unsichtbar und beobachtet das ausschweifende Treiben in einem Kloster, die Intrigen des Adels, und er verliebt sich in eine Blonde mit Zöpfchen.
Eingreifen kann er nicht. Berühren darf er niemanden, denn er vollführt ja seine Bewegungen auch im Jetzt; und möglicherweise schlägt er dann irrtümlich seine Ehefrau (die er nicht mehr mag. Seine Sehnsucht gehört längst "dem Anderen").
Ein bisschen Glück braucht der Zeitreisende auch. Sonst rennt er im Heute in eine fahrende Eisenbahn, während er im Damals einem Hund nachläuft.
Das größte Problem ist: Der Mann wird süchtig nach Droge und Vergangenheit. Er hat wenig Lust, in Cornwall zu bleiben. In der letzten Szene, wenn er "daheim" ist und das Telefon läutet, sind seine Finger taub, er kann den Hörer nicht halten. Was ist da los? "Ich weiß es auch nicht", hat Daphne du Maurier gesagt, "aber ich denke, unser Leben lähmt ihn. Glauben Sie nicht auch?"
KURIER-Wertung:
INFO: Daphne du Maurier: „Ein Tropfen Zeit“ Illustriert von Kristina Andres. Übersetzt von Margarete Bormann. Edition Büchergilde. 304 Seiten. 25,70 Euro.