Ein Politdrama – in allen Schattierungen von Grau
Von Thomas Trenkler
Allmählich kommt Joachim Meyerhoff ins richtige Alter für die Rolle des Klinikchefs: Im Burgtheater ist noch immer die Inszenierung von "Professor Bernhardi" zu sehen, die vor sechseinhalb Jahren, im April 2011, Premiere hatte. Denn sie besticht nicht nur durch zeitlose Gültigkeit, sondern wartet auch mit einem Star-Ensemble auf.
Doch nun konterte das Theater in der Josefstadt mit einer noch personalintensiveren, zudem gänzlich der Sprache Arthur Schnitzlers verpflichteten Inszenierung. Fast alle sprechen Deutsch in der Varietät Österreichisch. Florian Teichtmeister wie Bernhard Schir – auch Herbert Föttinger hat seine besten Kräfte aufgeboten – gleiten mitunter (und sehr charmant) ins Umgangssprachliche ab. Wenn sich einer – wie Christian Nickel als Dr. Filitz – vom Idiom her abgrenzt, dann aus triftigem Grund.
Im Gegensatz zu Dieter Giesing, der die Rolle des Dr. Cyprian mit einer Frau (Caroline Peters) besetzte, hielt sich Kica strikt an Schnitzlers Anweisungen. Beim bejubelten Schlussapplaus nach dreieinviertel Stunden stehen daher gleich 19 Männer auf der Bühne – allesamt in Schattierungen von Grau. Was für eine Phalanx! Und dazu, als einzige Frau, Alma Hasun. Obwohl keiner der Ärzte der jungen Schwester auf den Po gegriffen hat und die Männerquote kaum der Gegenwart entspricht: Das Stück, 1912 geschrieben, seziert, wie Politik und Intrige auch heutzutage funktionieren.
Viel kühles Chrom
Folgerichtig hat Ausstatterin Karin Fritz ein zeitgeistiges, neutrales Bühnenbild geschaffen: in Schwarz-Weiß und vor allem Grau, schlicht möbliert mit Designklassikern des 20. Jahrhunderts – vom Freischwinger mit Korbgeflecht bis zum Fauteuil von Le Corbusier. Viel kühles Chrom also, bewusst korrespondierend mit der Metallbrille von Teichtmeister, der als tennisspielender Kontrahent Dr. Ebenwald einen unglaublich schmierigen Karrieristen verkörpert.
Farbakzente werden von Fritz nur sehr sparsam eingesetzt: Die Krankenakte steckt in einem knallroten Mäppchen, die OP-Bekleidung der Ärzte blitzt sattgrün unter den weißen Kitteln hervor. Aber eben: Es geht in dieser Inszenierung nicht um schrille Effekte, sondern um die Zwischentöne, um die Nuancen. Und die wurden von Kica erstaunlich präzise herausgearbeitet. Das braucht Zeit, viel Zeit – und wird mitunter erst in beiläufigen Konversationen spürbar, die anderswo gestrichen worden wären. Nebenbei gelingt dem Regisseur der Beweis, dass Schnitzler sein Stück nicht grundlos als "Komödie" bezeichnete.
Zu Schmunzeln gibt es erstaunlich viel. Also nicht nur dann, wenn der Herr Direktor (des Josefstädter Theaters), der den Herrn Direktor (der Privatklinik) spielt, von sich behauptet, oft genug bewiesen zu haben, seinen Willen durchsetzen zu können. Natürlich ist "Professor Berhardi" aber in erster Linie eine "Tragikomödie des Eigensinns", wie Schir als jovialer, opportunistischer Minister Flint einmal feststellt. Beziehungsweise des Starrsinns.
Weil er einem Priester (Matthias Franz Stein) den Zutritt zu einer Sterbenden verwehrte, gerät Bernhardi zwischen die politischen Fronten: Den Ärger kippt er mit viel Whiskey hinunter. Dass Föttinger seinen Mitstreitern (impulsiv: Michael König, überloyal: André Pohl, knorrig: Michael Seilern) nichts anbietet, passt zur Charakterzeichnung. Gegen Ende hin sitzt er verloren herum: unsichtbar für die anderen. Ein großartiger Abend, eine fulminante Ensembleleistung. Nur die zweifache Anspielung aufs Lichtermeer: Die hätte es nicht gebraucht.