Kultur

Ein Leben in 1325 Bildern

Wie lässt sich die Aussichtslosigkeit fassen, wie die Situation vermitteln, in der sich jene befanden, die vom NS-Regime verfolgt wurden?

Das "Tagebuch der Anne Frank" gehört zweifellos zu den Werken, denen diese Darstellung gelang. Art Spiegelmans "Maus" (mit Juden als Mäuse und Nazis als Katzen) entpuppte sich sogar als Meisterwerk und verhalf der "Graphic Novel" zum Durchbruch als Medium für ernste Inhalte. Charlotte Salomons Werk "Leben? Oder Theater?", das in Auszügen bis 18. Oktober in einer Schau im Salzburger Museum der Moderne/Rupertinum gezeigt wird, lässt sich irgendwo zwischen diesen zwei Marksteinen verorten.

Die Malerin, 1943 mit 26 Jahren im KZ Auschwitz-Birkenau ermordet, nannte den Zyklus von 1325 Gouachen ein "Singespiel" in drei Teilen – einige Passagen korrespondieren mit Musikstücken, die in der Schau auch zu hören sind, es gibt ein "Vorspiel" und ein "Nachspiel".

Doch eigentlich erfand Salomon, die nach der Flucht aus Berlin in ihrem französischen Exil von 1940 bis 1942 manisch gemalt und gezeichnet haben muss, ihre ganz eigene Form.

Die Dringlichkeit, mit der sie die Ängste nach der Machtergreifung der Nazis in Text und Bild bannte, fasziniert ebenso wie die Weise, mit der sie dies tat: In den Blättern vervielfachen sich Figuren zu einer Art Bilderschrift, Buchstaben schlingen sich scheinbar zufällig um einzelne Motive und geben doch genau den Verlauf und den Geist von Unterhaltungen wieder. Zudem arbeitete Salomon mit halb transparenten Zwischenblättern, die einzelnen Bildern zusätzliche Elemente hinzufügten.

Salomon war 1939 zu ihren Großeltern nach Südfrankreich geschickt worden: der Vater und ihre Stiefmutter wähnten sie dort in Sicherheit. Tatsächlich zerbröselte ihre ohnehin fragile Welt, der Zyklus blieb als berührendes Dokument, doch irgendwie am Leben festzuhalten. Salomon übergab die Bilder kurz vor ihrer Deportation einem befreundeten Arzt, 1947 bekamen die erstaunten Eltern, die den Holocaust überlebt hatten, die Werke ausgehändigt.

Alle Inhalte anzeigen

Dass das MdM "Leben – oder Theater?" erst heuer, ein Jahr nach der Uraufführung der vom Zyklus inspirierten Oper "Charlotte Salomon" bei den Salzburger Festspielen zeigt, verwundert ein wenig – nach Auskunft des Museums waren die Bilder im Vorjahr in Chicago ausgestellt, eine Schau ließ sich nach dem MdM-Direktorenwechsel im Herbst 2013 nicht mehr zeitgerecht realisieren.

Düstere Farbwolken

Der Kraft der Bilder selbst tut dies keinen Abbruch: Mit düsteren Farbwolken und expressiven Konturen virtuos gemalt, scheinen die Original-Blätter das Denken der Charlotte Salomon auf die Entfernung einer Pinsellänge heranzuzoomen. Es ist eine Qualität, die der Malerei eigen ist – auch wenn die tragische Geschichte der Malerin zu Recht Stoff für Opern und Romane bietet.

Info: Einen Bericht über Charlotte Salomons neu erschienene Biografie von David Foenkinos lesen Sie am Freitag in der KURIER-freizeit.