E. L. Doctorow: "In Andrews Kopf"
Von Peter Pisa
Keine Ahnung, was jetzt los ist. Angeblich – so ist "In Andrews Kopf" zu lesen – ist es gar nicht gut, Spiegel daheim hängen zu haben.
Denn es ist gefährlich, sich anzustarren.
Man darf sich nämlich selbst nicht kennen ...
Nein, mit einem solchen Gedanken war nicht zu rechnen gewesen. Nicht bei E. L. Doctorow.
Über 50 Jahren schrieb der Amerikaner, indem er große Orchester dirigierte. Die Musik war eingängig.
In "Ragtime" (1975) spielen Houdini, Freud und Jung mit, in " Billy Bathgate" (1989) bekämpfen einander New Yorker Gangster .
Hinterlistig
Aber im zwölften Roman ist alles anders und nur wenig Personal erforderlich: Es schüttet bloß ein tollpatschiger Neurowissenschaftler bei einem "Seelenklempner" sein ... ja, sein Hirn aus.
Vielleicht ist es ja überhaupt ein Gehirn, das hier mit der Seele kommuniziert und fragt: Wie wird Geist aus Hirn? (Aber ein richtiges Gehirn, das lässt doch nicht so etwas Irrationales wie die Seele gelten, oder?)
Ein Kritiker in den USA hat gemeint, Titelfigur Andrew sei Bauchredner und unterhalte sich mit seiner Puppe. Doctorow war sehr amüsiert darüber. Wichtig war ihm allein, dass er diesmal hinterlistig war, übergeschnappt geradezu, und nichts für uns vorgekaut hat.
Der damals 84-Jährige nahm sich die Freiheit, seine Literatur einmal noch neu zu erfinden. Denk’ doch gefälligst selber nach, Leser! Überleg’ dir die Vorteile eines kollektiven Gehirns, wie es die Ameisen haben!
Keine Ahnung, was da jetzt los ist. Aber interessant, witzig und belebend ist das schon, wenn Andrew sein katastrophales Leben ausbreitet – inkl. Nine/Eleven und inkl. seiner Freundschaft mit US-Präsident Bush sowie Chaingang und Rumbum.
Womit wohl Cheney und Rumsfeld gemeint sind.
Finstere Typen. Bush ist – selbstverständlich nur im Roman !!! – bloß ein Trottel: "Er musste mit seiner Unfähigkeit leben."
Andrew zerstört, was er angreift. Schon als Kind tötete er beim Rodeln einen Autofahrer, später hat er irrtümlich seine Tochter umgebracht, daran zerbrach Ehefrau Nr. 1, und Ehefrau Nr. 2 lebt auch nicht mehr lange.
Allerdings ist Andrew ein unverlässlicher Erzähler. Nichts muss stimmen. Er redet, wie ein kluger, erfinderischer Schriftsteller schreibt. Er ist ... wie E. L. Doctorow einst war.
Info: E. L. Doctorow: „In Andrews Kopf“. Übersetzt von Gertraude Krueger. Kiepenheuer & Witsch. 208 Seiten. 19,60 Euro.
KURIER-Wertung: